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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spüren konnte. Nur einen Sekundenbruchteil später schlug etwas mit einem dumpfen Krachen in das Regal auf der anderen Seite des Raumes und zertrümmerte eines der Bretter. Erst in diesem Moment begriff sie überhaupt, was geschah. Spät, aber gerade noch früh genug. Rachel reagierte nicht bewusst; dazu hätte sie gar keine Zeit gehabt. Sie ließ sich einfach fallen und drehte in der gleichen Bewegung den Oberkörper in einer komplizierten rückwärtigen Pirouette zur Seite, so dass die zweite Kugel, die das Glas ein gutes Stück unter der ersten durchschlug und dabei wesentlich mehr Schaden anrichtete, sie ebenfalls verfehlte und harmlos in den Boden auf halber Strecke zwischen dem Fenster und der Theke fuhr. Sie schlug schwer auf dem Boden auf, rollte herum und verschränkte instinktiv die Arme über dem Kopf. Erst dann, mit einer Verzögerung von sicherlich zwei oder drei Sekunden (eine Ewigkeit in dieser Situation), stieß sie einen spitzen, erschrockenen Schrei aus, der in einem hellen Klirren und Bersten unterging, als eine dritte Kugel die Fensterscheibe traf und ihr genug von ihrer Stabilität raubte, um sie endgültig zerspringen zu lassen. Noch während das Glas wie in einem absurd langsamen Wasserfall aus geometrischen, harten Tropfen in sich zusammensank und zu Boden regnete, robbte sie hastig ein Stück von der Tür weg und erhob sich erst dann auf Hände und Knie, als sie ganz sicher war, sich im toten Winkel unter dem Fenster zu befinden und von draußen nicht mehr gesehen zu werden.
    Auch die zweite Scheibe zerbarst, diesmal schon unter der ersten Kugel, die das Glas traf. Splitter, Kälte und mit eisigem Regen vermengter Wind fauchten herein, dann traf irgendetwas die Tür und stanzte rasch hintereinander drei fingerdicke, kreisrunde Löcher in das morsche Holz; das erste unmittelbar über dem Schloss, das zweite in Brusthöhe und das dritte schräg darunter – wer immer in diesem Moment hinter der Tür gestanden hätte, hätte keine Chance gehabt zu entkommen. Sie robbte ein kurzes Stück auf dem Bauch entlang, erhob sich dann auf Knie und Ellbogen und warf sich sofort wieder flach auf den Boden, als die Tür unter dem Anprall von etwas sehr viel Größerem, sehr viel Schwererem ächzte. Der Stuhl, den sie unter die Klinke geklemmt hatte, zitterte und knirschte, hielt der Belastung aber wie durch ein Wunder stand. Für eine Sekunde. Dann zerbarst die gesamte Tür unter einem zweiten, ungleich heftigeren Schlag und flog in Stücken davon. Nur der Stuhl stand vollkommen absurderweise noch eine halbe Sekunde lang schräg gegen einen Widerstand gelehnt da, den es gar nicht mehr gab, ehe er wie in Zeitlupe umkippte und beim Aufprall zerbrach.
    In der Öffnung erschien eine riesige Gestalt, die von Rachels Furcht noch zusätzlich verzerrt und ins Gigantische vergrößert wurde. Dennoch erkannte sie den Mann sofort. Es war derselbe, der sie im Krankenhaus überfallen und De Ville niedergeschossen hatte. Er trug sogar noch dasselbe Gewehr in den Händen und er zögerte keine Sekunde, damit auf sie anzulegen.
    »Zur Seite!« Benedikts Schrei und ihre Reaktion erfolgten im selben Sekundenbruchteil, vielleicht eine Hundertstelsekunde bevor der Killer abdrückte. Diesmal bildete sie sich nicht ein, das Geschoss vorüberfliegen zu fühlen: Sie spürte es tatsächlich. Kaum einen Zentimeter neben ihrem Gesicht explodierte ein winziger Staubgeysir aus dem Boden und ein zweiter ein Stück weiter links und womöglich noch näher, während sie sich verzweifelt herumwarf. Der dritte Schuss würde treffen. Aber er fiel nicht. Statt des gedämpften Krachens des halbautomatischen Gewehrs erscholl ein schmerzerfülltes Grunzen von der Tür her. Rachel rollte ein weiteres Mal herum, prallte unsanft gegen die Wand und stemmte sich zitternd hoch, während sie noch versuchte die Benommenheit abzuschütteln. Der Killer, der auf sie geschossen hatte, war gegen den Türrahmen gesunken. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und das Gewehr entglitt seinen plötzlich kraftlosen Händen und polterte zu Boden. Aus seiner Schulter ragte der ölverschmierte Griff eines Schraubenziehers, den Benedikt zielsicher quer durch den Raum geschleudert hatte. Noch während er zusammenbrach, sprang Benedikt mit zwei, drei gewaltigen Sätzen zu ihm hin, rammte ihm die Schulter gegen die Brust und warf sich aus der gleichen Bewegung heraus zur Seite. Holzsplitter und Funken stoben aus dem zerborstenen Türrahmen, als jemand von draußen auf ihn

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