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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nichts tun!«, rief sie.
    »Rachel! Du weißt nicht, was du sagst!« Benedikt klang verzweifelt. Er hatte sich auf ein Knie hochgestemmt und umklammerte das Gewehr so fest, als versuche er die Waffe durchzubrechen.
    »Kein Problem!«, antwortete der eine der beiden Männer aus seinem Versteck heraus. Er sprach mit einem schweren östlichen Akzent, der seine Worte nicht nur sonderbar bedrohlich klingen ließ, sondern ihnen auch fast jegliche Glaubwürdigkeit nahm. »Kommen Sie raus! Mit erhobenen Händen!«
    In der ersten Sekunde war sie nicht einmal fähig, sich zu rühren. Der winzige Rest ihres Bewusstseins, der noch zu klarem Denken fähig war, sagte ihr mit glasklarer Gewissheit, dass sie nur diese eine Chance hatten, am Leben zu bleiben. Aber sie konnte sich nicht rühren. Jeder Muskel in ihrem Körper schien verkrampft und weigerte sich gleichzeitig, ihren Befehlen zu gehorchen. Es kostete sie unendliche Kraft, sich auf Hände und Knie hochzustemmen und den Arm zu heben, um in Ermangelung einer weißen Fahne die Hand über der Motorhaube zu schwenken.
    »Stehen Sie auf!«, schrie der Russe. »Herkommen! Ganz langsam!«
    »Das lasse ich nicht zu«, stammelte Benedikt. »Niemals! Du weißt nicht, was du tust! Du weißt nicht, was sie dir antun werden!« In seiner Stimme war ein Unterton von Verzweiflung, der beinahe dazu angetan gewesen wäre, sie noch einmal in ihrem Entschluss wankend zu machen, aber es war bereits zu spät: Sie hatte sich auf die Knie erhoben und sah mit Kopf und Oberkörper über die Motorhaube des Wagens hinaus. Wenn sie auch nur auf die falsche Art blinzelte, würde der Mann sie erschießen.
    »Ich lasse es nicht zu!«, sagte Benedikt noch einmal. »Niemals!« Aber was wollte er schon tun? Sie erschießen? Kaum.
    Rachel stand weiter auf, was mit einem angeschlagenen Knöchel und ohne Zuhilfenahme der Hände gar nicht so leicht war, warf Benedikt einen fast flehenden Blick zu und ging dann mit vorsichtigen, kleinen Schritten um den Wagen herum. Von den beiden Männern, die auf der anderen Seite der Werkstatt in Deckung gegangen waren, war keine Spur zu sehen, aber Rachel glaubte die Gewehrläufe beinahe zu spüren, die sich auf sie gerichtet hatten.
    Benedikt tat etwas vollkommen Wahnsinniges – zweifellos nichts anderes als ein letzter Akt der Verzweiflung: Schreiend sprang er hinter seiner Deckung hoch, schwenkte den Gewehrlauf im Halbkreis herum und hielt den Finger dabei auf den Abzug gepresst. Die Waffe stieß einen rasenden Feuerstoß aus, dessen Lautstärke allein zu reichen schien, den kleinen Raum auseinander zu reißen. Funken stoben, Dutzende von Querschlägern heulten durch die Luft und richteten nur wie durch ein kleines Wunder keinen weiteren Schaden an. Benedikt schoss, bis seine Waffe leer war und statt des Hämmerns der Schüsse nur noch ein leises, rasend schnelles metallisches Klicken erscholl, aber selbst dann hielt er den Finger noch zehn oder fünfzehn Sekunden lang am Abzug, ehe er die Waffe sinken ließ. Gleichzeitig schien sämtliche Kraft aus seinem Körper zu entweichen. Er stand noch immer hoch aufgerichtet da, aber seine Schultern sanken nach vorne und Rachel konnte regelrecht sehen, wie irgendetwas in ihm erlosch. Er hatte gekämpft und verloren. Endgültig.
    Hinter einem der Wagen entstand Bewegung, dann richtete sich ein dunkelhaariger, kräftig gebauter Mann unbestimmbaren Alters dahinter auf, der mit einem großkalibrigen automatischen Gewehr in Benedikts Richtung zielte. Praktisch im gleichen Moment erschien auch der zweite Killer hinter dem Stapel aus Schrott und rostigen Ersatzteilen, hinter dem er Deckung gesucht hatte. Auch er hielt eine Waffe in den Händen, zielte damit jedoch nicht in Benedikts Richtung, sondern hielt den Lauf gesenkt. »Kommen Sie her!«, befahl er. »Schnell! Und keine Dummheiten!«
    »Du weißt nicht, was du tust«, murmelte Benedikt kraftlos. Er machte einen Schritt, wankte plötzlich und musste sich am Kotflügel des Ford festhalten, um nicht zu stürzen. Sein Atem ging schnell und sein Puls so hart, dass Rachel eine Ader an seiner Schläfe klopfen sehen konnte. Trotzdem war sie sicher, dass es nicht die körperliche Erschöpfung war, die ihm so zu schaffen machte. Sie hatte annähernd das Gleiche durchgemacht und war schrecklich müde und erschöpft, aber keineswegs der Ohnmacht nahe. Nein – er sah aus wie ein Mensch, der den Kampf seines Lebens gekämpft hatte und nun mit grässlicher Gewissheit begriff, dass er ihn verlor.

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