Flut: Roman (German Edition)
Wagens hervor, von wo auch das rhythmische Hämmern kam, das sich jetzt allerdings eher wütend als zielgerichtet anhörte.
Rachel blieb längere Zeit unter der Tür stehen und erwartete aus irgendeinem absurden Grund, dass er ihre Anwesenheit spürte. Als ihr klar wurde, dass das nicht der Fall war, räusperte sie sich übertrieben und sagte: »Anscheinend bist du doch nicht so gut als Automechaniker.«
Es vergingen noch einmal Sekunden, bis das Hämmern aufhörte, und dann weitere und deutlich mehr, bevor Benedikt ächzend und mit der Eleganz einer halbseitig gelähmten Krabbe auf dem Rücken robbend unter dem Wagen hervorkroch. Sein Gesicht und vor allem seine Hände waren ölverschmiert und er trug einen schweren Schraubenschlüssel in der Rechten, den er so fest umklammerte, als überlege er ernsthaft, damit nach ihr zu werfen. Jedenfalls machte er das passende Gesicht dazu. Dann aber benutzte er das Werkzeug doch nur, um sich ächzend vom Boden hochzustemmen und sich in der gleichen Bewegung vollends zu hier herumzudrehen. »Warum bist du aufgestanden'?«, fragte er. »War ich zu laut?«
»Weil mittlerweile fast zwei Stunden vorbei sind statt einer«, antwortete Rachel. »Ich will ja nicht hetzen, aber wir sind nicht auf Besuch eingerichtet, weißt du? Es sind kaum Getränke im Haus und aufgeräumt werden müsste auch wieder einmal.«
»Ich bin gleich so weit.« Benedikt ging mit leicht schleppenden Schritten um den Wagen herum, rüttelte prüfend an dem Kabel, das die Batterie mit dem Ladegerät verband (Rachel maßte sich nicht an, irgendetwas von dem zu verstehen, was er tat, aber sie war trotzdem sicher, dass die Bewegung nicht den mindesten Sinn hatte). »Es dauert noch ungefähr zehn Minuten. Bist du einigermaßen wach?«
Natürlich war sie das nicht, dennoch nickte sie. »Es geht.«
»Dann geh nach vorne und sieh nach, ob du irgendetwas findest«, bat er. »Eine Straßenkarte wäre nicht schlecht. Und vielleicht irgendetwas zum Anziehen. Mittlerweile dürfte jeder Polizist im Umkreis von fünfhundert Kilometern wissen, wie wir aussehen und welche Kleidung wir tragen.«
Was zumindest in Benedikts Fall kein großes Problem mehr darstellen dürfte, dachte Rachel spöttisch. Seine Sachen waren auch vorher schon nicht ansehnlich gewesen; jetzt waren sie ölverschmiert und so zerknittert, als hätte er eine Woche lang darin geschlafen, und zwar im Motorraum des Wagens. Wahrscheinlich aber hatte er ohnehin mehr sie gemeint. Zum wiederholten Mal wurde ihr klar, wie wenig umsichtig sie in der Wahl ihrer Kleidung gewesen war. Nicht nur, dass diese viel zu dünn und alles andere als wetterfest war – viel schlimmer war, wie auffällig sie damit aussah.
Benedikt beendete das Gespräch, indem er sich demonstrativ unter die offene Motorhaube beugte und an irgendetwas herumzufummeln begann, und Rachel drehte sich herum und ging in den vorderen Teil des Gebäudes zurück, um das Büro ein zweites Mal und diesmal etwas gezielter zu durchsuchen. Das Ergebnis war mager. Sie fand einen mindestens zehn Jahre alten Autoatlas, aus dem zahlreiche Seiten herausgerissen waren, und eine Anzahl Falk-Pläne, ebenso alt und im Grunde nutzlos, denn es handelte sich zum großen Teil um Straßen- und Stadtkarten der näheren Umgebung. Trotzdem stopfte sie alles in eine Plastiktüte, die sie in einer der Schreibtischschubladen fand. Damit erschöpfte sich der Erfolg ihrer Suchaktion aber auch schon. Der schmale Spind neben der Tür war leer. Keine Kleidungsstücke, nicht einmal eine alte Decke.
Sie legte die Plastiktüte mit ihrer mageren Beute auf den Schreibtisch, dachte einen Moment lang daran, zu Benedikt in die Werkstatt zurückzugehen, und trat dann stattdessen an eines der beiden schmalen, staubverkrusteten Fenster neben der Tür. Selbst als sie unmittelbar davor stand, konnte sie kaum Einzelheiten erkennen, so schmutzig war das Glas. Rachel rieb mit dem Handballen darüber, um sich ein Guckloch zu schaffen, und als sie die Hand herunternahm, ertönte ein helles, scharfes »Ping« und in dem Glas unmittelbar vor ihrem Gesicht entstand ein kreisrundes Loch mit milchig zerfransten Rändern von der Stärke ihres kleinen Fingers. Ein halbes Dutzend mikroskopisch kleiner Glassplitter biss dicht unter ihrem linken Auge in ihr Gesicht und irgendetwas surrte mit einem Geräusch einer zornigen Wespe an ihrer Schläfe vorbei; so dicht, dass sie einen heißen Luftzug wie eine flüchtige, aber äußerst unangenehme Berührung
Weitere Kostenlose Bücher