Flut: Roman (German Edition)
Und dass er nichts mehr daran ändern konnte.
»Das war sehr vernünftig von Ihnen, Rachel«, sagte eine Stimme hinter ihr. Rachel drehte sich langsam und mit erhobenen Händen herum und erkannte ohne sonderliche Überraschung, dass hinter ihnen zwei weitere Bewaffnete aufgetaucht waren. Beide waren groß und von dem gleichen durchtrainiert-muskulösen Wuchs wie auch Benedikt und die anderen Männer, auf die sie bisher getroffen war, aber zumindest bei dem älteren der beiden war sie sicher, dass es sich nicht um einen Russen handelte. Sein Gesicht hatte eindeutig asiatische Züge – nicht mongolisch wie bei vielen Bewohnern der ehemaligen UdSSR, eher war es ein Japaner, vielleicht auch ein Taiwanese oder Koreaner. Wahnsinn und Fanatismus schienen nicht nur ansteckend zu sein, sondern offenbar auch grenzübergreifend.
Benedikt sank noch ein wenig weiter in sich zusammen, machte sich aber nicht einmal die Mühe, sich herumzudrehen; vielleicht hatte er auch nicht mehr die Kraft dazu, aber Rachel führte ihre Bewegung langsam zu Ende und sah dem Dunkelhaarigen, der sie angesprochen hatte, so fest in die Augen, wie sie nur konnte. »Ich habe Ihr Wort, oder?«
»Meines?« Der Dunkelhaarige zog die Augenbraue hoch.
»Das von einem Ihrer Männer«, sagte Rachel ruhig. »Es sollte auch für Sie gelten.«
»Sie haben zu viele schlechte amerikanische Kriminalfilme gesehen, meine Liebe«, antwortete der Dunkelhaarige. Rachel hatte das sichere Gefühl, dass er seinen russischen Akzent dabei bewusst noch betonte. »So funktioniert das nicht.« Er ließ gute zwei oder drei Sekunden verstreichen – genug, um ihrer Furcht mehr als nur ein wenig neue Nahrung zu geben –, bevor er fortfuhr: »Aber ich habe keinen Grund, Benedikt etwas anzutun. Obwohl er uns eine Menge Schwierigkeiten bereitet hat.«
Der letzte Satz galt nicht mehr Rachel, sondern Benedikt, der die Worte zweifellos gehört hatte, aber nicht im Geringsten darauf reagierte. Er hatte sich mittlerweile mit einem Bein auf die Kofferraumhaube des Ford gesetzt und saß mit hängenden Schultern und weit nach vorne gebeugt da. Er stierte ins Leere.
»Sind Sie bewaffnet?«, fragte der Russe.
Rachel schüttelte den Kopf und dem Dunkelhaarigen schien diese einfache Antwort zu genügen. »Das ist gut«, sagte er. »Sie hätten sich selbst und vor allem uns und Ihrem Freund eine Menge Ärger ersparen können, wenn Sie gleich mitgekommen wären. Ich versichere Ihnen, dass Ihnen kein Leid geschehen wird, solange Sie vernünftig sind.«
»So wie Tanja und den anderen?«, fragte Rachel böse. Ihre innere Stimme meldete sich wieder, noch dünner als bisher und in noch verzweifelterem Ton. Dass sie überhaupt noch lebte, war ein kleines Wunder. Aber anscheinend arbeitete irgendein destruktiver Teil ihres Selbst mit aller Macht daran, diesen Zustand zu ändern.
»Ihnen ist nichts geschehen«, behauptete der Dunkelhaarige. »Und ihnen wird auch nichts passieren.« Er wandte sich mit gerunzelter Stirn und einer weit ausholenden Geste, die den gesamten Raum einschloss, an Benedikt. »Das alles hier wäre nicht nötig gewesen. Dein Vater wird nicht sehr glücklich sein, wenn er hört, was du getan hast.«
Dein Vater? Rachel blinzelte fragend in Benedikts Richtung, aber er reagierte so wenig darauf wie auf die Worte des Dunkelhaarigen. Wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal gehört. Er starrte weiter ins Leere.
Einer der Männer hielt Benedikt weiter mit seiner Waffe in Schach, während sich der Asiat um den Bewusstlosen kümmerte. Der Mann stöhnte leise, als er ihn auf den Rücken drehte. Rachel vermochte nicht zu sagen, ob und wie schwer verletzt er war, aber zumindest lebte er noch. Aus irgendeinem Grund war ihr das wichtig.
Der Dunkelhaarige sagte einige Worte auf Russisch. Die beiden Bewaffneten nahmen Benedikt in die Mitte und führten ihn grob zwischen sich her zur Tür, aber Rachel entging auch keineswegs, dass sie ihn mit einem gewissen Respekt behandelten. Benedikt machte keine Bewegung, um sich zu widersetzen. Er schien fast willenlos. Vielleicht hatte er tatsächlich aufgegeben – auch wenn Rachel sich das noch immer nicht vorstellen konnte. Das Wort »aufgeben« und Benedikt passten irgendwie nicht zusammen.
»Gehen wir.« Der Dunkelhaarige machte eine auffordernde Geste.
»Und wenn nicht? Erschießen Sie mich dann?«
»Falls Sie versuchen, Zeit zu gewinnen, verstehe ich nicht ganz, weshalb«, sagte der Dunkelhaarige, statt ihre Frage zu beantworten. »Ihre
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