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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Wagen vorbeilaufen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass man sie entdeckte. Nach dem letzten Blitz, der den Wagenstapel halbwegs in Brand gesetzt hatte, war das Gewitter wie abgeschaltet erloschen und auch der Hagel hatte wieder aufgehört, fast als wäre es nur eine einzelne himmlische Schreckschuss-Salve gewesen. Dafür herrschte mittlerweile fast vollkommene Dunkelheit. Die Wolkendecke hatte den Himmel nun zur Gänze verschlungen, so schwarz und dicht, dass die Position der Sonne nicht einmal mehr zu erahnen war; eine wortwörtlich biblische Finsternis. Obwohl ihre Verfolger rasch näher kamen, waren dies für Rachel geradezu ideale Voraussetzungen, um zu verschwinden: Der Schrottplatz bot Hunderte von Verstecken und der immer noch an Heftigkeit zunehmende Regen und die Dunkelheit erwiesen sich ebenfalls als wertvolle Verbündete. Nicht einmal eine ganze Armee mit Handscheinwerfern und Spürhunden hatte eine realistische Chance, sie zu finden.
    Trotzdem rührte sie sich nicht, sondern duckte sich nur ein wenig tiefer hinter den zertrümmerten Wagen, während der Landrover mit mühsam mahlenden Rädern rückwärts auf sie zukam. Er passierte ihr Versteck buchstäblich auf Armeslänge und kam in wenigen Metern Abstand zum Stehen; nicht ganz freiwillig: Das Heck stieß gegen ein Hindernis, das im Regen unsichtbar gelauert hatte, und Rachel hörte das Klirren von Glas und dann das typische Geräusch zusammengedrückten Karosserieblechs. Hastig bückte sie sich tiefer hinter ihre improvisierte Deckung und lauschte mit angehaltenem Atem.
    Sie musste nicht lange warten. Eine Wagentür wurde aufgerissen und eine Sekunde später mit übertriebener Wucht wieder ins Schloss geworfen, dann hörte sie Schritte und eine Stimme rief irgendetwas auf Russisch. Ein Handscheinwerfer flammte auf und bemühte sich, einen Tunnel aus Licht in die stygische Finsternis zu bohren, aber auch dieser Strahl zerfaserte nach wenigen Schritten zu einem blassen Schein, von Millionen und Abermillionen Tropfen aufgesogen und zu einem Durcheinander aus reiner Bewegung gemacht, das dem Blick keinen Halt bot, sondern ihn nur noch zusätzlich verwirrte.
    Der Scheinwerferstrahl beschrieb einen zitternden Halbkreis und Rachels Herz machte einen erschrockenen Sprung, als das blasse Restlicht, das den Weg durch den Regen bis zu ihr gefunden hatte, über ihren Arm und einen Teil ihrer Schulter strich. Aber der Lichtstrahl wanderte weiter, ohne innezuhalten. Wahrscheinlich hätte er das sogar getan, wenn es nicht wie aus Kübeln gegossen hätte. Immerhin wusste sie jetzt, warum sie vorhin diese alberne Verkleidung gewählt hatte.
    Dagegen wusste sie immer noch nicht genau, was zum Teufel sie eigentlich hier tat. Irgendeine Macht – ganz gleich, ob Zufall genannt oder göttliche Vorsehung –, irgendetwas jedenfalls hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um ihr die Flucht zu ermöglichen, warum also nutzte sie die Chance nicht, sondern blieb im Gegenteil so nahe bei ihren Verfolgern sitzen, dass diese nur einen Schritt in die falsche Richtung zu tun brauchten, um wortwörtlich über sie zu stolpern?
    Eine mögliche Erklärung war, dass es nicht der Sinn der Aktion gewesen war, dass sie einfach weglief, aber die realistischere Erklärung war wohl, dass sie sich noch immer in einer Mischung aus Schock und einer sonderbar stillen Panik befand, die weder ihre Gedanken noch ihren Körper lähmte, sehr wohl aber ihren Willen. Sie war einfach nicht in der Lage, sich zu entscheiden.
    Hinter ihr ertönte wieder das Rufen. Der Scheinwerferstrahl tastete zum zweiten Mal über ihr Versteck und wanderte weiter. Auch diesmal verlor er sich nach wenigen Schritten im Nichts und in wirbelndem Durcheinander, aber gerade als der Mann in die entsprechende Richtung sah, zerriss ein einzelner, blendend weißer Blitz die falsche Nacht. Für nahezu eine Sekunde war das Heck des zermalmten Landrover so deutlich zu erkennen, als würde es von einem himmlischen Spotlicht angestrahlt. Ein erschrockener Ausruf erscholl und sie hörte, wie weitere Türen aufgerissen wurden. Ein zweiter und dritter Lichtstrahl flammten auf und setzten sich hektisch in Richtung des zertrümmerten Geländewagens in Bewegung, und Rachel …
    Sie stand hinter ihrer Deckung auf und begann geduckt auf den Landrover zuzuhuschen.
    Nicht etwa, dass sie es wollte. Ganz im Gegenteil: Ein Teil von ihr fragte sich mit fast hysterischer Verzweiflung, was zum Teufel sie hier eigentlich tat. Sie wusste nicht

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