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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem leisen Unbehagen registrierte, in der gleichen Bewegung auf die rechte Spur der Autobahn, ohne auch nur noch einen weiteren Blick in den Rückspiegel zu werfen. Offenbar verließ er sich voll und ganz auf den Respekt, den der Vierzigtonner den meisten anderen Verkehrsteilnehmern einflößte. »Es müsste jetzt schon geschehen sein«, sagte er.
    »Was?« Sie verstand nicht, wovon er sprach, aber es gefiel ihr nicht.
    »Sie werden eine Weile brauchen, bis sie die ersten Bilder bringen können«, fuhr Benedikt ungerührt fort. »Aber nicht lange. Sieh zu, dass du einen Sender hereinbekommst. Irgendeinen. Es ist egal, welchen. Sie werden es alle bringen.«
    Rachel sah ihn nachdenklich, aber mit einem rasch stärker werdenden unguten Gefühl an. Er würde ihr nicht sagen, was genau er in den Nachrichten zu sehen erwartete, das spürte sie.
    Und sie war mit einem Mal gar nicht mehr sicher, ob sie es überhaupt noch wissen wollte.
    ***
    Sie waren seit zwanzig Minuten unterwegs. Nach etwas mehr als der Hälfte der Zeit hatten sie die deutsch-belgische Grenze passiert und die Furcht hatte sich für zwei oder drei Minuten bei Rachel zurückgemeldet. Auch wenn es seit mehr als einem Jahrzehnt keine Grenzkontrollen mehr zwischen den meisten mitteleuropäischen Staaten gab, existierten die Grenzen selbst durchaus noch, und Rachel wusste aus eigener Erfahrung, dass dann und wann noch stichprobenartige Kontrollen durchgeführt wurden. Aber ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Das unauffällige und schon teilweise in Verfall übergegangene Wachhäuschen an der Grenze war verwaist. Alles, was sich änderte, nachdem sie die Grenze passiert hatten, war die Farbe der Straßenschilder. Der Verkehr nahm noch weiter ab, was größtenteils wohl daran lag, dass der Regen weiter zunahm. Der Himmel hatte sich nicht wieder vollkommen verdunkelt, wie vorhin während ihrer Flucht vom Schrottplatz, aber die Bezeichnung »Tag« für das Licht schluckende graue Zwielicht, durch das sie fuhren, war ein Scherz. Das Wasser stand mittlerweile gute fünf Zentimeter hoch auf der Autobahn und selbst die übergroßen Scheibenwischer des Trucks hatten Mühe, mit den Wassermassen fertig zu werden, die aus allen Richtungen zugleich auf sie einzustürzen schienen. Manchmal erschienen weiß leuchtende, wie mit einem Lineal gezogene grelle Blitze in der brodelnden Wolkendecke, die meistens zu schnell erloschen, als dass Rachel sie auch nur mit Blicken fixieren konnte, wie himmlische Irrlichter, die zu dem einzigen Zweck erschaffen worden waren, sie zu narren. Aber das galt nicht für alle. Einige wenige dieser kosmischen Wurfgeschosse hatten lange genug Bestand, um lodernde Narben in den Himmel zu brennen und nur langsam verblassende grüne Nachlichter auf ihren Netzhäuten zu hinterlassen, und mindestens zweimal war sie fast sicher, dass die grellen Feuerlinien nicht erloschen, sondern den Horizont berührten, und einmal glaubte sie ein mildes weißes Leuchten zu erkennen, dort, wo die erlöschende Meteoritenspur den Horizont berührte, wenn sie sie in Gedanken verlängerte. Sie weigerte sich jedoch, diesen Gedanken auch nur als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Nach allem, was sie erlebt und was Benedikt behauptet hatte, schien er eine schreckliche, zwingende Logik zu beinhalten, aber seit dieses unheimliche Phänomen begonnen hatte, waren Wissenschaft und Medien nicht müde geworden, immer wieder zu versichern, dass keiner der Eismeteoriten groß genug sei, die Erdoberfläche zu erreichen und dabei noch nennenswerten Schaden anzurichten, und sie war trotz allem noch nicht bereit, an eine weltweite Verschwörung zu glauben.
    Irgendwie gelang es ihr, auch diesen Gedanken abzuschütteln und ihren Blick vom Himmel loszureißen und auf die Ebene neben der Autobahn zu richten, doch auch das erwies sich als keine wirklich gute Idee: Sie konnte die Welt hinter den niedrigen Leitplanken kaum sehen, aber das wenige, was sie erkennen konnte, war bedrückend. Der wochenlange Dauerregen hatte Felder und Wiesen in eine trostlose graubraune Masse verwandelt, deren Konsistenz sich immer mehr der einer zähen Flüssigkeit annäherte, und wenn es dort draußen überhaupt noch Farben gab, so verschwanden sie hinter dem Schleier aus grauem und silberfarbenem Regen. Die wenigen Häuser, die sie sah, erinnerten sie an verängstigte graue Tiere, die sich in kleinen Gruppen zusammengekauert hatten und starr vor Angst darauf warteten, dass die Zeit endloser grauer

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