Flut: Roman (German Edition)
Dämmerung vorüberging.
»Unheimlich«, murmelte sie.
Sie hatte das Wort gar nicht laut aussprechen wollen und es hatte schon gar nicht in ihrer Absicht gelegen, es zu Benedikt zu sagen, aber er hatte es gehört und pflichtete ihr mit einem schweren Nicken bei.
»So ist nun einmal der Weltuntergang«, sagte er.
»Bis jetzt ist es nur eine Schlechtwetterperiode«, gab sie zurück. Sogar in ihrer eigenen Ohren klang das irgendwie lächerlich, aber sie fuhr trotzdem und mit einem bekräftigenden Nicken fort: »Ein kosmisches Phänomen. Jeder Student im ersten Semester kann es dir erklären.«
»Vermutlich«, sagte Benedikt. Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu widersprechen. Diesen Punkt der Diskussion hatten sie schon seit Stunden hinter sich und Rachel fragte sich beinahe selbst, warum sie plötzlich wieder damit anfing. Sie beantwortete sich ihre Frage jedoch im nächsten Augenblick auch selbst. Es war das erste Mal, dass Benedikt überhaupt mit ihr sprach, seit sie die Raststätte verlassen hatten. Rachel hatte ungefähr zehntausend Fragen, die sie Benedikt stellen wollte, und die Antworten auf mindestens fünftausend davon waren möglicherweise lebenswichtig, und sie hatte versucht, ihm wenigstens ein paar davon zu stellen – immerhin hatten sie gute zwei Stunden Fahrt vor sich –, aber Benedikt hatte sich in beharrliches Schweigen gehüllt und sie nur von Zeit zu Zeit gebeten, im Fernseher nach einem halbwegs klar empfangbaren Sender zu suchen. Rachel hatte es sogar die ersten beiden Male – beinahe schon aus Gewohnheit – getan, ihm aber dann einen derart wütenden Blick zugeworfen, dass er seine Bitte nicht noch einmal wiederholte.
Dennoch – und obwohl sich das Gespräch schon wieder in eine Richtung zu entwickeln begann, die ihr nicht behagte – dachte sie nicht daran, es wieder abreißen zu lassen. Benedikt sprach mit ihr und das war beinahe schon mehr, als sie sich noch zu erhoffen gewagt hatte. Vielleicht reichte ja ein wenig Beharrlichkeit, um ihn dazu zu bringen, auch etwas Sinnvolles zu sagen.
»Wie lange brauchen wir noch bis zum Flughafen?«
»Eine Stunde«, antwortete Benedikt wie aus der Pistole geschossen. Vielleicht rechnete er die verbleibende Fahrzeit ja ununterbrochen nach, wie ein lebendiges GPS-System, das seine Impulse aus seiner eigenen Nervosität und Furcht erhielt und nicht von einem geostationären Satelliten.
»Eine Stunde.« Rachel nickte, als müsse sie über diese Eröffnung nachdenken. »Und du bist sicher, dass deine Freunde nicht bereits auf uns warten, wenn wir ankommen?«
»Ganz sicher«, antwortete Benedikt. »Wenn sie wüssten, wo wir sind, dann wären sie längst hier.«
»Wenn sie wüssten, wo wir sind, hätten sie vermutlich längst einen taktischen Atomsprengkopf auf uns abgeschossen«, sagte Rachel. Sie lachte und Benedikt rang sich zumindest zu einem dünnen Lächeln durch, aber Rachel behielt ihn dabei scharf im Auge. Er hatte schon verstanden, dass sie einen Scherz gemacht hatte, aber da war etwas in seinem Blick, das ihr Angst machte.
»Sie würden es tun, nicht wahr?«, fragte sie plötzlich ernst werdend. »Ich meine: wenn sie die Möglichkeit hätten.«
»Vermutlich«, sagte Benedikt. »Aber keine Angst. Darkov ist ein ziemlich einflussreicher Mann. Es gibt nicht viel, was er nicht bekommen kann, wenn er es wirklich will. Aber ich glaube, Atomwaffen gehören zu diesem nicht viel. «
»Du glaubst. Wie beruhigend.«
Benedikt sah auf die Uhr. Er sagte nichts, aber die Bewegung machte Rachel deutlich, was er meinte. Sofort erwachte ihr Trotz wieder, aber ihre Neugier – und ihre Beunruhigung – waren mittlerweile stärker. Sie beugte sich vor, hielt mit der linken Hand die mit Isolierhand geflickte Antenne des Fernsehers fest und drehte mit der anderen an dem altmodischen Knopf für die Sendersuche. Sie rechnete sich keine großen Chancen aus, mehr als Störungen hereinzubekommen, aber das Schicksal (oder die Willkür der elektrischen Turbulenzen, die in der Stratosphäre tobten) hatte ein Einsehen mit ihr. Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie ein sogar erstaunlich klares Bild hereinbekam: eine bieder gekleidete Nachrichtensprecherin mit einer altmodischen Frisur, die langsam und mit sehr ernstem Gesicht eine Meldung verlas. Rachel konnte den Wortlaut nicht verstehen, denn sie sprach Flämisch – vielleicht auch Wallonisch –, aber man musste die Worte nicht verstehen, um zu begreifen, dass das, was sie zu sagen hatte, sehr ernst
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