Flut: Roman (German Edition)
keine Chance sich wiederzufinden.
Benedikt steuerte den VIP-Eingang des Duty-free-Bereichs an und blieb ein paar Schritte vor der Kontrollstelle stehen; unter normalen Umständen ein ziemlich auffälliges Verhalten. Das Flughafenpersonal achtete gewöhnlich genau auf »zufällig« herumlungernde Passagiere, die Flughafenterminals irrtümlich als eine Art Paradies für Taschendiebe und Trickbetrüger ansahen.
Hier und jetzt war nichts normal. Selbst Rachel, die kaum fünf Meter entfernt stand, hatte Mühe, Benedikt nicht aus den Augen zu verlieren, und die Gesichter der Männer und Frauen, die das Gepäckband beaufsichtigten und die Passagiere kontrollierten, die durch den Metalldetektor gingen, drückten nicht mehr freundliche Dienstbeflissenheit aus, sondern allenfalls so etwas wie stumme Verzweiflung. Immerhin konnte sie erkennen, dass Benedikt einen der Passagiere in ein Gespräch zu verwickeln schien. Natürlich wusste sie nicht, worum es ging, und sie versuchte nicht einmal, es zu erraten, aber die Unterhaltung dauerte auch nicht sehr lange. Nach kaum fünf Minuten kam Benedikt zurück. Er sagte nichts, aber er sah ziemlich zufrieden aus.
»Und?«, fragte Rachel.
Benedikt deutete auf die Anzeigetafel unter der Hallendecke und gab ihr mit der anderen Hand die Tickets, ohne dass sie begriff, was sie damit sollte.
»Ausgang G4«, sagte er. »Die Maschine nach Rom. Schnell jetzt. Sie fangen wahrscheinlich gleich mit dem Einchecken an.«
Rachel wandte sich gehorsam um und folgte Benedikt, aber als sie auf die Anzeige gesehen hatte, war ihr etwas aufgefallen, das ihrer Besorgnis neue Nahrung gab. Die Anzahl der Flüge, die ersatzlos gestrichen worden waren, war noch weiter angestiegen, und ganz plötzlich wurde ihr klar, was passiert war. Die doppelte Katastrophe in Las Vegas und Bangkok hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sämtliche Flüge dorthin gestrichen wurden, sondern musste eine Art Kettenreaktion ausgelöst haben – sie wäre nicht erstaunt gewesen, wenn sämtliche Flüge in die USA und nach Südostasien ausfielen. Vielleicht würde über kurz oder lang sogar der gesamte zivile Flugverkehr zum Erliegen kommen.
Und vielleicht war das erst der Anfang, dachte sie benommen. Das Entsetzen über das, was in Amerika und Asien geschehen war, war bisher einfach zu groß gewesen, um Platz für irgendeinen anderen Gedanken zu lassen, aber mit einem Mal wurde ihr klar, welch verheerende Folgen die beiden Meteoriteneinschläge noch haben würden; weit über die zahllosen Todesopfer und die beiden zerstörten Großstädte hinaus. Sie war nicht einmal sicher, dass die USA die Katastrophe verkraften konnten, ohne dass ihre Wirtschaft und ihr soziales Gefüge bis in die Grundfesten erschüttert wurden; von Thailand ganz zu schweigen. So schrecklich der Gedanke war: Die Toten, die die beiden kosmischen Geschosse heute gefordert hatten, waren erst der Anfang.
Auf der Anzeigetafel über ihnen verschwanden zwei weitere Flüge, bis sie den mit G4 bezeichneten Ausgang erreichten und hindurchgingen. Es war ein innereuropäischer Flug, so dass es keine Passkontrolle gab, und die Metalldetektoren befanden sich unmittelbar vor den Warteräumen. Das Gedränge war hier nicht mehr ganz so schlimm wie in der Halle draußen, aber noch immer schlimm genug. Und sie wusste immer noch nicht, was sie hier eigentlich taten.
»Da vorne ist es.« Benedikt machte eine unauffällige Geste. »Die beiden dort – der Dunkelhaarige und seine aufgedonnerte Begleiterin … was meinst du? Gehen sie als unsere Doubles durch?«
»Er sieht ganz nett aus«, antwortete Rachel. »Aber diese Schnepfe? Willst du mich beleidigen?«
Benedikt lachte und beschleunigte zugleich seine Schritte. Er hatte Grund zur Eile. Der Anzahl der Passagiere nach zu schließen war die Maschine vollkommen ausgebucht, was hier und jetzt aber wohl der Normalzustand war, und der Flug war offensichtlich bereits aufgerufen: Vor dem Ausgang begann sich eine lange Reihe geduldig Wartender zu bilden, die nur stockend abfloss. Aber sie bewegte sich.
»Du musst mir helfen«, sagte Benedikt. Er klang ein wenig nervös, was wiederum Rachel mehr als nur ein wenig beunruhigte. Aber sie nickte.
»Gut«, murmelte Benedikt. »Warte zwei Minuten, dann kommst du nach und bringst sie mit.«
»Wen – sie?«
Statt zu antworten, bedeutete Benedikt ihr mit einer Geste, die ebenso verstohlen war wie die erste, ein Stück zurückzubleiben, und ging zugleich noch ein wenig schneller. Rachel
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