Flut: Roman (German Edition)
tatsächlich zu glauben, dass er noch zwei Tickets für diesen Flug bekommen konnte. Rachel ersparte sich den Hinweis, dass vor den Schaltern genug Leute anstanden, um die Schlange hintereinander gereiht wahrscheinlich auch so bis nach Rom reichen zu lassen, sondern hob nur die Schultern und drehte sich herum, um nach einer Boutique zu suchen.
Die Suche gestaltete sich weit schwieriger, als sie geglaubt hatte. Wie die meisten internationalen Flughäfen verfügte auch dieser über eine großzügige (und alles andere als preiswerte) Mall, die sich allerdings im Duty-free-Bereich befand, in den man erst hineinkam, nachdem man seine Bordkarte und den Reisepass vorgezeigt hatte. Rachel verfügte über keines von beiden und so war sie auf die wenigen Läden in der hoffnungslos überfüllten Halle hier draußen angewiesen. Sie brauchte fast eine halbe Stunde, um sich zu einem der Läden durchzukämpfen und praktisch wahllos zwei Garnituren frischer Kleidung zu erstehen.
Während die Verkäuferin ihren Einkauf in Tüten verstaute und auf das Okay von der Kreditkartengesellschaft wartete, sah sich Rachel unauffällig im Laden um. Das Geschäft war leer gewesen, als sie hereingekommen war, und sie war bis jetzt die einzige Kundin geblieben. Der Flughafen mochte aus allen Nähten platzen, aber niemand hatte Interesse daran, etwas einzukaufen – und anscheinend auch nicht daran, etwas zu verkaufen. Zwei der drei Verkäuferinnen, die es hier gab, hatten anscheinend noch nicht einmal bemerkt, dass sie überhaupt da war, so konzentriert verfolgten sie das Geschehen auf dem Bildschirm ihres kleinen Fernsehers, der auf einem Podest neben der Tür stand, und selbst das junge Ding an der Kasse blickte mehr auf den Monitor als in ihre Richtung. Statt der Musikvideos, die wohl sonst darauf liefen, war der Apparat jetzt auf einen Nachrichtenkanal eingestellt; zu Rachels Bedauern auf einen, der in der Landessprache sendete, nicht in Englisch. Aber die Bilder, die sie sah, sagten ihr genug. Es waren dieselben, die sie vorhin im Lkw gesehen hatte, und dieselben, die im Moment vermutlich von jedem Sender weltweit ausgestrahlt wurden.
Nach einer Ewigkeit – wie es ihr vorkam – gab die Kassiererin Rache! die Kreditkarte zurück und schob mit der anderen Hand die Papiertüte mit ihren Einkäufen über die Theke; beides, ohne den Blick auch nur für einen Sekundenbruchteil vom Fernsehschirm zu lösen. Unter normalen Umständen hätte Rachel ihr dieses Verhalten übel genommen, jetzt machte es ihr Angst. Rachel schätzte sie auf allerhöchstens achtzehn oder neunzehn Jahre und vom Typ her hätte sie eher hinter die Bar einer Nobeldisco gepasst als hierher; ganz genau der Typ von Verkäuferin, bei dem Rachel schon aus Prinzip nichts kaufte, und wenn es doch einmal passierte, dann lauerte sie regelrecht auf einen Grund, sich über ihr Gegenüber aufzuregen oder nach Möglichkeit auch zu beschweren. Jetzt erfüllte sie der Anblick des aufdringlich geschminkten Gesichts mit einer dumpfen Furcht, deren wahre Tiefe sie sich nur noch nicht eingestehen wollte, denn auf ihren Zügen lag eine Angst, die ein so junger Mensch einfach noch nicht kennen sollte; ganz gleich aus welchem Grund.
Ohne irgendeinen Abschiedsgruß verließ sie das Geschäft und steuerte die Toilette an, die gottlob nur wenige Schritte entfernt lag. Rasch betrat sie eine der Kabinen, schlüpfte aus ihren durchnässten Kleidern und zog die robusten Jeans und den bunt gemusterten Pullover an, die sie gerade erstanden hatte, dazu eine leichte Windjacke, die natürlich so gut wie keinen Schutz vor dem Wind und überhaupt keinen Schutz vor niedrigen Temperaturen bot, aber über eine wasserdichte Imprägnierung verfügte, was im Moment wichtiger war; vor allem angesichts des Ziels, das sie ansteuerten.
Als sie sich draußen im Vorraum im Spiegel betrachtete, staunte sie über die Veränderung, die dieser simple Kleidertausch bewirkt hatte. Was sie trug, lief ihrem persönlichen Geschmack so entgegen, wie es nur ging. Ihrer Meinung nach sah sie aus wie ein gerupfter Papagei, den man zusätzlich noch über die Farbpalette eines Pop-Art-Künstlers gerollt hatte, aber gerade das machte den Effekt. Sie hatte sich gar nicht einmal so sehr verändert, aber sie sah einfach nicht mehr aus wie sie selbst. Sie war nicht einmal sicher, dass Benedikt sie auf Anhieb wieder erkennen würde.
Er erkannte sie wieder, aber seine Reaktion gab ihrer eigenen Einschätzung Recht: er zog erstaunt die
Weitere Kostenlose Bücher