Flut: Roman (German Edition)
aufzuhalten und auch die eher oberflächliche Kontrolle jenseits des Metalldetektors verlief reibungslos. Rachel atmete vorsichtig auf, klaubte die gestohlene Umhängetasche vom Band und trat unmittelbar hinter Benedikt in den gewölbten Gang, der zum Flugzeug führte. Zehn Minuten später saßen sie auf ihren Plätzen im hinteren Drittel der Maschine und warteten darauf, dass die Türen geschlossen wurden.
Benedikt winkte eine der Stewardessen heran. »Wie lange wird der Flug dauern?«, fragte er.
»Nicht ganz drei Stunden«, antwortete die junge Frau. Obwohl sie eine Uniform der ALITALIA trug, sprach sie akzentfreies Deutsch.
»Und werden wir pünktlich ankommen?«
»Wir werden voraussichtlich pünktlich abheben«, antwortete die Stewardess diplomatisch. Wenn ich nicht noch weitere dumme Fragen beantworten muss und meine Arbeit tun kann, fügte ihr Blick hinzu. Vermutlich hatte sie dieselbe Frage während der letzten halben Stunde schon mindestens hundert Mal beantwortet. Trotzdem lächelte sie und fügte unaufgefordert hinzu: »In zirka fünfzehn Minuten.«
Sie ging, bevor Benedikt eine weitere dumme Frage stellen und ihr damit noch mehr von ihrer wertvollen Zeit stehlen konnte.
»Was sollte das jetzt wieder?«, fragte Rachel. »Soll ich vielleicht aussteigen und ein bisschen schieben?«
»Drei Stunden«, murmelte Benedikt, als hätte er ihre Frage gar nicht gehört. »Das müsste reichen.«
»Reichen?« Rachel zog demonstrativ die linke Augenbraue hoch. »Der italienischen Polizei, um bei unserer Landung in Rom auf uns zu warten? Bestimmt.« Sie schüttelte wütend den Kopf. »Ich begreife mich selbst nicht, ehrlich gesagt. Wie konnte ich mich nur auf diesen Irrsinn einlassen?«
»Wahrscheinlich, weil du meinem Charme nicht widerstehen konntest«, antwortete Benedikt ernsthaft. »Aber mach dir nichts draus. Niemand kann das. Ich bin nun mal ein Frauentyp. Manchmal ist das ganz schön lästig, das kann ich dir sagen.«
»Ich meine es ernst, Benedikt«, antwortete Rachel. Sie musste sich beherrschen, um nicht zu laut zu sprechen. Rings um sie herum herrschte noch die übliche Unruhe, die vor jedem Start in einem Flugzeug anzutreffen war, aber dies war keine Maschine der Shanghai Airlines, die nur mit einzig ihrer Muttersprache mächtigen, ewig lächelnden Chinesinnen besetzt war. Die Wahrscheinlichkeit, dass das, was sie sagte, nicht nur gehört, sondern auch verstanden wurde, war ziemlich hoch. »Was glaubst du, was die beiden tun werden, wenn sie aufwachen? Sich verwundert die Augen reiben und einen Kaffee trinken? Kaum.«
»Sie werden nicht aufwachen.« Benedikt registrierte anscheinend das erschrockene Aufblitzen in ihren Augen, denn er erklärte seine Worte sofort und in besänftigendem Ton: »Keine Sorge, sie sind wirklich nur bewusstlos. Aber das werden sie auch noch mindestens vier oder fünf Stunden bleiben.«
»So?«, fragte Rachel zweifelnd. »Im Fernsehen wachen die Leute immer nach spätestens einer halben Stunde auf, wenn man ihnen eins über den Schädel gibt.«
»Wir sind hier aber nicht im Fernsehen.« Benedikt lächelte flüchtig. »Ich weiß, was ich tue, vertrau mir. Sie werden erst aufwachen, wenn wir längst gelandet und in Sicherheit sind.«
Rachel bezweifelte immer noch, dass er ihr die Wahrheit sagte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass man einen Menschen – mit bloßen Händen und praktisch innerhalb eines einzigen Augenblicks – für eine so lange Zeit außer Gefecht setzen konnte, ohne ihm nachhaltigen Schaden zuzufügen. Sosehr sie sich auch dagegen wehrte, da war eine leise, aber beharrliche Stimme in ihr, die ihr einzureden versuchte, dass er sie belog und die beiden doch getötet hatte, genau wie den Trucker auf dem Rastplatz.
»Und wenn man sie findet?«, fragte sie.
»Niemand schaut in eine verschlossene Kabine auf dem Männerklo«, antwortete Benedikt. »Und selbst wenn – ich habe ihre Papiere. Wir sind …« – er griff in die Jacke, zog eine Brieftasche aus braunem Kunstleder hervor und klappte sie auf – »... Marc und Stephanie Schneider aus Köln. He! Wir sind seit zwei Tagen verheiratet.« Sein Grinsen wurde breiter. »Wahrscheinlich sind wir auf dem Weg in die Flitterwochen. Ist dir klar, dass wir den beiden vermutlich einen Gefallen getan haben? Sie werden diese Geschichte wahrscheinlich noch ihren Enkelkindern erzählen.«
»Sehr witzig«, murmelte Rachel. Aber innerlich resignierte sie. Es war völlig egal, was sie sagte, sie würde
Weitere Kostenlose Bücher