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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sagen, weil sie Angst hatten, dass es ein Schock für mich wäre.«
    »Und?«, wollte Benedikt wissen. »War es das?«
    »Nein«, antwortete Rachel. »Es hat mir nichts ausgemacht. Und es macht mir auch jetzt noch nichts aus. Ich denke, es spielt keine Rolle, wer mich gezeugt und auf die Welt gebracht hat. Die Menschen, bei denen ich aufgewachsen bin, sind meine Eltern. Die mir ihre ganze Liebe geschenkt haben.«
    »Und warum sollte es bei mir anders sein?«, fragte Benedikt.
    Sie war ihm in die Falle getappt, keine Frage. Der Gedanke machte sie wütend. Und der Umstand, dass ihr nicht sofort eine passende Erwiderung einfiel, machte sie noch wütender.
    »Das ist ein Unterschied«, sagte sie. »Ich musste nie annehmen, dass sie meine wirklichen Eltern umgebracht haben.«
    »Ich auch nicht«, sagte Benedikt. »Was glaubst du? Dass er mich irgendwann zur Seite genommen und gesagt hat: Ach übrigens, Benedikt, ich habe damals deine Eltern umgebracht, aber so was kommt nun mal vor?« Er lachte. »Ganz so einfach war das nicht. Und wer –«
    Ein harter Ruck ging durch den Zug. Das Geräusch von Metall, das auf Metall kreischte, vermischte sich mit den teils überraschten, teils zornigen Schreien aus einem Dutzend Kehlen, dem Klirren von Glas und dem Scheppern von zerbrechendem Porzellan, und Rachels Tasse prallte gegen ihren Teller und fiel um. Benedikt hatte weniger Glück: Sein Kaffee machte sich selbstständig und verabschiedete sich über die Tischkante, um sich zielgenau in seinen Schoß zu ergießen, woraufhin Benedikt mit einem Schrei aufsprang und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte.
    Der Zug rutschte auf blockierenden Rädern weiter. Unter dem Fenster, an dem Rachel saß, stoben tatsächlich Funken hoch und das Kreischen von Eisen auf Eisen wurde so schrill, dass es fast in den Zähnen wehtat. Überall zerbrach Geschirr. Etliche Passagiere verloren das Gleichgewicht und stürzten, und dem Getöse nach zu urteilen musste hinter ihr ein kompletter Tisch zusammenbrechen.
    Rachel stemmte die Hände gegen die Tischkante und die Füße gegen den Boden, um nicht ebenfalls nach vorne geschleudert zu werden. Die Anstrengung überstieg fast ihre Kräfte. Der Zug verzögerte mit einer Gewalt, die sie vorher nicht einmal für möglich gehalten hätte. Obwohl sie die Arme mit aller Macht durchzudrücken versuchte, wurde sie so wuchtig gegen die Tischkante gepresst, dass ihr die Luft wegblieb.
    Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber als der Zug schließlich zum Stehen kam, war das Speisewagenabteil vollkommen verwüstet. Es gab einen zweiten, nur wenig sanfteren Ruck, der auch noch das letzte Geschirr von den Tischen schleuderte und noch mehr Passagiere von den Füßen riss, und auch Rachel hielt sich nur noch mit Mühe auf ihrer Sitzbank. Benedikt stürzte nach vorne, fiel halbwegs über den Tisch und stemmte sich so schnell wieder in die Höhe, dass er nun auch noch die Decke herunterriss, griff mit der linken Hand nach dem Fenster und schob es mit einem Knall auf. Wind und nadelspitzer eisiger Regen schlugen ihr wie eine Hand mit einem kalten Stachelhandschuh ins Gesicht, aber Benedikt beugte sich ohne zu zögern vor und streckte Kopf und Schultern aus dem Fenster.
    »Was ist los?«, rief Rachel. »Was ist passiert? Benedikt!«
    Er antwortete nicht und sie bezweifelte auch, dass er ihre Stimme überhaupt gehört hatte. Das Kreischen der blockierenden Räder war verstummt, aber im Zug herrschte noch immer ein Höllenlärm, der sogar mit jedem Moment schlimmer zu werden schien. Erst nach endlosen Sekunden zog Benedikt den Kopf zurück und richtete sich wieder auf. Sein Haar troff vor Nässe und sein Gesicht war hochrot.
    »Was ist los?«, fragte sie noch einmal.
    Sie bekam noch immer keine Antwort und diesmal war sie sogar sicher, dass er sie gar nicht gehört hatte. Er wich einen Schritt zurück und sah sich hektisch um. Seine Haltung wirkte mit einem Mal angespannt und in seinen Augen war wieder dieser Raubtierblick, der ihr solche Angst machte.
    Rachel wollte sich zur Seite wenden, um ebenfalls aus dem Fenster zu sehen, aber Benedikt packte sie plötzlich am Unterarm und zerrte sie mit solcher Gewalt in die Höhe, dass sie vor Schmerz die Luft zwischen den Zähnen einsog. Grob, um nicht zu sagen brutal, wirbelte er sie herum und versetzte ihr einen Stoß, der sie auf den Ausgang zustolpern ließ.
    Es waren nur ein paar Schritte, aber sie war nicht einmal sicher, dass sie sie schaffen würde. Vor dem Ausgang

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