Flut: Roman (German Edition)
abzutasten.
»Du glaubst, sie haben dir eine Wanze angehängt?«
»Nein«, sagte Benedikt. »Aber es ist die einzige Erklärung, die mir im Moment einfällt.«
»Vielleicht waren sie deshalb auch beim ersten Mal so schnell da«, sagte Rachel. »Auf dem Schrottplatz.«
»Hm«, machte Benedikt. Er fuhr fort, seine Kleider abzutasten, schnell, aber sehr gründlich und ohne den geringsten Erfolg. Schließlich zog er sogar seine Schuhe aus, nahm sie ausgiebig in Augenschein und riss zum Schluss beide Absätze ab. Das Ergebnis war ein Paar ruinierter Schuhe, aber sonst nichts.
»Nichts.«
»Was hast du erwartet?«, fragte Rachel spöttisch. »Einen schwarzen Kasten, auf dem eine orangerote Leuchtanzeige ›Peilsender‹ blinkt?« Sie schüttelte den Kopf. »Sogar ich weiß, wie klein man die Dinger heute bauen kann.«
Benedikt starrte sie an, auf eine sehr eigentümliche Art und Weise. Hinter seiner Stirn arbeitete es immer noch und immer noch sichtbar, nun aber in eine vollkommen andere Richtung.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Rachel.
»Nein«, antwortete Benedikt nachdenklich. »Vielleicht das einzig Richtige.« Er starrte sie noch eine weitere Sekunde auf dieselbe, beunruhigende Art an, dann schlüpfte er wieder in seine ruinierten Schuhe und zog dafür die Jacke aus.
»Was wird das?«, erkundigte sich Rachel.
Statt zu antworten, warf Benedikt ihr die schwarze Lederjacke zu – das einzige Kleidungsstück, das er nicht untersucht hatte, weil es nicht nötig war; da er sie dem unglückseligen Flitterwöchner in Brüssel abgenommen hatte, bestand kaum die Gefahr, dass sie verwanzt war – knöpfte sein Hemd auf und riss mit einer einzigen Bewegung den linken Ärmel ab.
»Auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für krankhaft neugierig hältst«, sagte Rachel, »was machst du da?«
Benedikt verzog die Lippen zu einem Grinsen, das Rachel einen weiteren eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ, und begann damit, den Hemdsärmel in fünf Zentimeter breite Streifen zu reißen. Als er damit fertig war, griff er hinter sich und zog einen zehn Zentimeter langen, mattschwarzen Messergriff aus dem Gürtel, aus dem er eine beidseitig geschliffene Klinge von sonderbarer Farbe schnappen ließ.
»Wie hast du das Ding durch die Kontrolle am Flughafen gebracht?«, fragte Rachel erstaunt. Und was zum Teufel hatte er damit vor?
»Kein Problem«, antwortete Benedikt. »Plastik. Eine spezielle Polymerverbindung, die auf keinem Radar- oder Ultraschalldetektor erscheint, dabei aber härter ist als Stahl. Und übrigens nicht im Versandhauskatalog erhältlich.«
Er grinste wieder, hob den linken Arm und spannte den Bizeps an. Dann führte er die Spitze der Messerklinge mit einer raschen, halbkreisförmigen Bewegung über den Muskel. Rachel erstarrte vor Entsetzen.
Die Klinge drang ziemlich tief ein; kein oberflächlicher Schnitt, der nur die Haut ritzte, sondern eine gut anderthalb Zentimeter tiefe Wunde; was nach wenig klang, aber grässlich tief war und noch grässlicher schmerzen musste – vor allem, da er sich diese Verletzung selbst zufügte.
Rachels Magen begann zu revoltieren, als sie sah, wie zähflüssiges dunkles Blut aus der Wunde quoll und ein asymmetrisches Streifenmuster auf Benedikts Arm hinterließ, bevor es zu Boden tropfte. Benedikt führte den Schnitt nicht nur scheinbar ungerührt weiter, sondern schien mit der Messerspitze auch noch genüsslich in der Wunde herumzuwühlen.
»Was … was tust du da?«, fragte Rachel mühsam. Ihr Magen zog sich zu einem harten Klumpen zusammen, der sich viel weiter oben in ihrem Körper zu befinden schien, als er sein sollte, und unter ihrer Zunge sammelte sich bittere Galle. Wenn sie noch länger zusah, das spürte sie, dann würde sie sich übergeben müssen. Aber zugleich war es ihr auch beinahe unmöglich, den Blick von dem grausigen Geschehen zu lösen.
»Gleich«, antwortete Benedikt. »Ich bin … gleich so weit.« Seine Stimme zitterte und wer immer seine wirklichen Eltern waren, er war auf keinen Fall in direkter Linie mit Winnetou oder irgendeinem anderen nordamerikanischen Indianer verwandt, denn er spürte eindeutig Schmerz. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren und auf seiner Stirn glänzte jetzt Schweiß, nicht mehr nur Regentropfen. Dennoch fuhr er noch einige Sekunden fort, voller Begeisterung in der Wunde herumzupulen, die er sich selbst zugefügt hatte.
Endlich atmete er erleichtert auf und zog die Messerspitze aus der Wunde.
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