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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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etwas Lebendiges war, schien ihr neue Kraft zu geben.
    »Nur falls du glaubst, das macht Spaß – das tut es nicht«, sagte Benedikt. »Wir müssen weiter. Ich weiß nicht, wer diese Kerle waren, aber es könnte sein, dass es noch mehr von ihnen gibt. Anscheinend haben sie auf uns gewartet.«
    »Ich weiß«, sagte Rachel.
    Sie hatte die Augen geschlossen und konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber sie spürte den überraschten Blick, mit dem er sie maß.
    »Woher?«
    Die Drachenaugen, dachte Rachel. Laut sagte sie: »Ich weiß es nicht. Jemand beobachtet uns. Ich weiß nicht, wer oder warum, aber ich spüre es.«
    »Dein sechster Sinn?«
    Rachel zögerte. Vielleicht war es so, vielleicht war es auch etwas ganz Banales gewesen, eine Beobachtung, die sie gemacht und nicht bewusst registriert, auf einer tieferen Ebene aber sehr wohl richtig gedeutet hatte – welche Rolle spielte es schon? Sie hob die Schultern.
    »Du hättest es mir sagen können«, sagte Benedikt. In seiner Stimme war nicht einmal eine Spur von Vorwurf, auch wenn sie sich fast gewünscht hätte, ihn zu hören.
    »Was? Dass ich unter Verfolgungswahn leide und mich wie eine hysterische Ziege benehme?«
    Benedikt seufzte. »Dass du etwas spürst. Warum glaubst du wohl, hat man dir diese Fähigkeit geschenkt?«
    »Man?« Rachel hätte fast laut aufgelacht. Warum benutzte er dieses Wort? Warum hatte er – ebenso wie sie – immer noch nicht den Mut, den Begriff Gott zu verwenden? Aber sie beantwortete sich diese Frage selbst, noch bevor sie den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte. Weil er es so wenig wie sie ertrug, von einem Gott zu reden, der so grausam war, der mit Menschenleben spielte wie mit Figuren, die man über ein Feld schob, und dem sie offensichtlich weniger wert waren als ihr der Bauer in einem Schachspiel, den sie opferte, um einen bestimmten Zug zu ermöglichen.
    »Wenn du so weit bist, können wir vielleicht weitergehen«, sagte sie. »Nur auf die Gefahr hin, dass du Recht hast und es noch mehr von diesen Burschen gibt.« Die gekommen waren, um ihr zu helfen.
    »Gib mir noch eine Minute«, bat Benedikt.
    Rachel machte in Gedanken fünf daraus, aber nicht nur, weil sie sich ziemlich gut vorstellen konnte, in welcher Verfassung er war. Auch sie war im Moment nicht sicher, ob sie wirklich weitergehen konnte. Sie fühlte sich auf eine Art erschöpft und leer, die nichts mit ihrem körperlichen Zustand zu tun hatte. Die Konsequenz aus dem Auftauchen dieser beiden Männer (drei, wenn sie den Toten im Wald dazuzählte) war zu kompliziert und zu weit reichend, als dass sie im Moment darüber nachdenken wollte, aber allein die Ahnung dessen, was sie bedeuten mochte, schien ihr alle Kraft zu rauben. Obwohl sie ganz genau wusste, wie die Antwort lauten würde, fragte sie:
    »Du bist sicher, dass du diese Männer nicht kennst?«
    »Nein«, sagte Benedikt.
    Bedeutete das nun nein, ich bin nicht sicher, oder nein, ich kenne sie nicht?, dachte Rachel. Auch das war nur ein bequemer Ausweg, um nicht über seine Antwort nachdenken zu müssen. Natürlich wusste sie, was er meinte. Aber wenn diese Männer tatsächlich nicht zu der Söldnerarmee seines Vaters gehörten, dann –
    »Ich kann Sie beruhigen, Frau Weiss«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit hinter ihr. »Wir gehören nicht zu Darkovs Killertruppe. Vor zehn Minuten dachte ich noch, dass Sie das freuen würde, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.«
    Rachel fuhr mit einer erschrockenen Bewegung herum und auch Benedikt richtete sich halb auf und sank dann mit einem schmerzerfüllten Keuchen wieder zurück. Aus dem Wald hinter ihnen war eine Gestalt getreten. Rachel konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Es war nur ein Schatten; ein Schemen schwärzerer Dunkelheit vor der Düsternis des Waldes. Das einzige Licht, das sie sah, war ein kurzer Reflex auf dem nassen Metall des Gewehrlaufs, den der Mann auf Benedikt gerichtet hatte. Doch obwohl er ihr vollkommen fremd war und obwohl er zuvor nur einen einzigen Satz zu ihr gesagt hatte, erkannte sie seine Stimme sofort wieder. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.
    »Sie –«
    »Keine Bewegung«, sagte der Mann. Seine Waffe machte einen kurzen, drohenden Ruck in Benedikts Richtung; eine Bewegung wie das warnende Zucken einer Schlange, deren Giftzähne entblößt waren. »Wenn ich derjenige wäre, für den Sie mich gehalten haben, würde ich jetzt abdrücken. Leider bin ich es nicht. Aber gib mir einen Grund und ich schieße dich über den

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