Flut: Roman (German Edition)
Haufen.«
Zumindest der zweite Teil dieses Satzes galt Benedikt, der an der Ernsthaftigkeit dieser Drohung wohl auch nicht zweifelte, denn er erstarrte mitten in der Bewegung. Rachel hingegen richtete sich vorsichtig weiter auf, hielt dann aber ebenfalls inne, als der Gewehrlauf einen kurzen, drohenden Schwenk in ihre Richtung machte und sich dann sofort wieder auf Benedikt richtete.
Schnell, aber nicht schnell genug.
Benedikt sprang den Fremden an. Er verschwendete keine Zeit damit, aufzustehen oder sich irgendwie in eine günstigere Position zu manövrieren, sondern federte ansatzlos und aus der ungünstig verkrampften Stellung heraus, in der er sich befand, schräg von unten auf den Mann zu, und hätte er irgendetwas anderes getan, dann wäre diese Bewegung vermutlich die letzte in seinem Leben gewesen. Der andere schoss sofort und ohne zu zögern, aber die Kugel verfehlte Benedikt und ließ hinter ihm nur einen winzigen Geysir aus Morast und Steinsplittern aufbrechen, und bevor er zu einem zweiten Schuss kam, prallte Benedikt mit ausgebreiteten Armen gegen seine Knie und riss ihn zu Boden. Das Gewehr flog in hohem Bogen davon und landete irgendwo rechts von Rachel im Gebüsch, während die beiden Männer aneinander geklammert über den Boden rollten und schließlich ins Wasser stürzten.
Rachel machte instinktiv einen Schritt in die gleiche Richtung, fuhr dann mitten in der Bewegung herum und stürzte dorthin, wo die Waffe des anderen aufgeprallt war. Hinter sich hörte sie Schreie, das Platschen des Wassers und wütende Kampfgeräusche, aber ihr war klar, dass Benedikt kaum eine Chance gegen seinen Gegner hatte. Der Mann war weder so schnell noch so gut wie er – wäre er es gewesen, dann wäre es ihr vorhin niemals gelungen, ihn zu übertölpeln –, aber sie wusste aus eigener schmerzhafter Erfahrung, in welch jämmerlichem Zustand sich Benedikt momentan befand. Sie musste ihm helfen oder es war alles vorbei.
Verzweifelt tastete sie über den Boden, wühlte mit den Fingern im Schlamm und zerrte und riss an Geäst und Wurzeln, die plötzlich gar nicht mehr ihre Freunde zu sein schienen, sondern ein Gewirr von Fallstricken und gefährlichen Schlingen bildeten. Sie hatte nur die ungefähre Richtung gesehen, in der das Gewehr geflogen war, und bei der herrschenden Dunkelheit konnte sie buchstäblich darüber hinweglaufen, ohne es auch nur zu sehen. Doch sie hatte Glück. Endlich ertasteten ihre Hände etwas Hartes. Mit verzweifelter Kraft griff sie zu, fuhr herum und rannte mit weit ausgreifenden Schritten zurück zum Bach. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Benedikt und der Fremde hatten sich im knietiefen Wasser aufgerichtet und rangen mit wütender Kraft miteinander. Von Benedikts Schnelligkeit war nicht mehr viel geblieben. Statt der Mischung aus Faustkampf und fast eleganten, tänzerischen Bewegungen, die sie schon mehrmals beobachtet hatte, war es jetzt ein plumpes Ringen, bei dem es ihm kaum noch gelang, den Hieben und Stößen seines Gegners auszuweichen oder ihnen wenigstens die Kraft zu nehmen. Er wurde Schritt für Schritt weiter zurückgedrängt und torkelte unter zwei, drei harten Faustschlägen, die ihn an Kopf und Oberkörper trafen. Voller Entsetzen begriff sie die Absicht seines Gegners: er hatte nicht wirklich vor, Benedikt niederzuschlagen, sondern trieb ihn gezielt vor sich her, damit er wieder ins tiefere Wasser und damit in die tödliche Strömung geriet. Noch ein oder zwei Schritte weiter und er würde den Boden unter den Füßen verlieren und einfach weggerissen werden.
»Aufhören!«, schrie sie.
Natürlich reagierte der Angreifer nicht. Rachel war auf einmal sicher, dass er das Wort gar nicht gehört hatte. Ohne Atem für einen weiteren Schrei zu verschwenden, trat sie noch dichter ans Ufer heran, hob das Gewehr und krümmte den Finger um den Abzug.
Der Schuss krachte wie ein Kanonenschlag in ihren Ohren und der Rückstoß der Waffe war so stark, dass sie zwei Schritte weit rückwärts taumelte und das Gewehr um ein Haar fallen gelassen hätte. Ihre Hände summten, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen, und zu der Sammlung blauer Flecken, die sie ohnehin schon hatte, würde sich ein weiterer, ansehnlicher Bluterguss gesellen, wo der Gewehrkolben gegen ihren Oberarm geschlagen war. Unglückseligerweise war das aber das einzige Ergebnis – die beiden Männer kämpften verbissen weiter miteinander, als hätten sie auch den Schuss nicht
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