Flut: Roman (German Edition)
stürzt«, begann Giradeli. Er war nun um einen möglichst sachlichen Ton bemüht. Vielleicht war er der Meinung, dass das, was er zu sagen hatte, dadurch weniger schlimm klang, aber das genaue Gegenteil war der Fall. »Sein Durchmesser wird im Moment des Aufpralls irgendwo zwischen fünfhundert und dreitausend Metern liegen. Er wird auf jeden Fall bis zum Meeresgrund durchschlagen und dort explodieren. Das Ergebnis wird die größte Flutwelle sein, die dieser Planet je gesehen hat – ganz zu schweigen von den Erdbeben und verheerenden Stürmen, die der Einschlag auslösen wird. Aber am schlimmsten ist zweifellos die Flutwelle.« Er nickte, um seine Worte zu bekräftigen. »Die Mittelmeerinseln werden sämtlich ausgelöscht werden. Die Flutwelle wird Nordafrika überspülen und mindestens tausend Kilometer weit ins Landesinnere vordringen, ehe sie allmählich an Kraft verliert. Israel, Ägypten, die meisten der Arabischen Emirate und selbst noch Marokko werden ausradiert. Dort wird niemand überleben.«
»Und … hier?«, murmelte Uschi.
»Hier wird es schlimmer«, antwortete Giradeli. »Eine ungefähr dreihundert Meter hohe Wasserwand wird Italien überrollen und alles verschlingen, was die Erdstöße und die Explosion beim Aufschlag überstanden hat. Sie wird erst an den Alpen gebrochen werden. Südfrankreich und ein Teil von Spanien werden untergehen. Wir rechnen mit zwei- bis dreihundert Millionen Toten in den ersten zwei Stunden. Mindestens noch einmal die gleiche Anzahl von Menschen wird in den darauf folgenden Tagen sterben. Europa wird vielleicht nicht entvölkert, aber seine Zivilisation wird ausgelöscht, so oder so.«
»Der Hammer Gottes«, murmelte Rachel.
»Die Sintflut«, sagte Johannes Petrus, kaum lauter als sie gerade, aber in einem Ton, der ihr einen neuerlichen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Die Wiege des Christentums wird aufhören zu existieren.«
»Kein Wunder, dass überall Panik ausbricht«, sagte Uschi, »und der Flughafen überlastet ist.«
»Niemand weiß etwas davon«, sagte De Ville. »Bisher ist es nur ein heller Stern am Himmel. Es wird noch zwei Stunden dauern, bis er groß genug ist, um als Bedrohung zu erscheinen.«
»Sie … Sie haben es … geheim gehalten?«, murmelte Uschi fassungslos. »Sie wissen, was geschehen wird, und warnen die Menschen nicht?«
»Warum?«, fragte De Ville hart.
»Warum?« Uschi ächzte. »Damit sie fliehen können! Sich in Sicherheit bringen.«
»Fliehen.« De Ville nickte langsam, als müsse er erst über die Bedeutung dieses Wortes nachdenken oder sei bisher noch gar nicht auf diese Idee gekommen. »Aber wohin denn?«, fragte er dann.
»Das Szenario, das ich gerade beschrieben habe, ist das am wenigsten katastrophale«, sagte Giradeli. »Es könnte ungleich schlimmer kommen. Es ist ebenso möglich, dass die Flutwelle ganz Europa überrollt und sich in die Nordsee ergießt. Es gibt keinen Ort, an den die Menschen fliehen könnten. Jedes Schiff im Umkreis von zweitausend Kilometern wird untergehen. Die Druckwelle wird jedes Flugzeug zwischen hier und dem Ural aus der Luft fegen. Wir würden eine Panik auslösen, aber vermutlich nicht ein einziges Menschenleben retten.«
»Also haben Sie entschieden, die Menschen unwissend sterben zu lassen.«
»Wir sind übereingekommen, ihnen zwei Stunden Todesangst zu ersparen«, sagte Johannes Petrus. »Ja. Vielleicht ist es falsch, aber ich habe mich für eine barmherzige Lüge entschieden. Wenn es ein Fehler ist, dann werde ich das mit Gott und meinem Gewissen abmachen müssen.«
»Seien Sie vorsichtig, Heiliger Vater, damit Sie sich nicht übernehmen«, sagte Uschi böse. »Ich glaube, auf Ihrem Gewissen lastet schon eine ganze Menge.«
»Schweigen Sie!«, herrschte De Ville sie an. »Welchen Ton erlauben Sie sich! Wissen Sie nicht, wem Sie …«
»Bitte!« Johannes Petrus machte eine besänftigende Bewegung mit beiden Händen. »Jetzt und hier sind wir alle gleich. Und sie hat Recht.« Er straffte sich, ohne dadurch allerdings weniger kraftlos und müde auszusehen als zuvor.
»Und warum schenken Sie uns diese … barmherzige Lüge nicht?«, fragte Uschi böse. »Gehören wir zu den Auserwählten, die das Privileg genießen, später zu Märtyrern ernannt zu werden – postum, versteht sich?«
De Ville wollte abermals auffahren, aber diesmal brachte Johannes Petrus ihn mit einer Geste zum Schweigen, bevor er etwas sagen konnte. De Ville schwieg, doch seine Augen sprühten
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