Flut: Roman (German Edition)
so dass sie beide übereinander stürzten.
Rachel fuhr herum, rannte zum Bett und warf sich schützend über Tanja, die sich mit angezogenen Knien auf die Seite gerollt hatte und vor Schmerz und Furcht wimmerte. Unter ihr begann sich ein dunkler Fleck auf dem Bett auszubreiten und plötzlich roch es nach Blut; als Rachel sie berührte, schrie sie gellend auf und versuchte nach ihr zu schlagen. Sie wurde zwei, drei Mal hart im Gesicht getroffen, ehe es ihr gelang, Tanjas Handgelenke zu packen und festzuhalten. Hinter sich hörte sie dumpfe Kampfgeräusche und ein Knurren wie von einem wilden Tier, dann einen dumpfen Schlag, aber sie wagte es nicht, den Kopf zu drehen und zurückzublicken.
»Beruhige dich!«, sagte sie. »Tanja! Dir ist nichts passiert! Es ist alles in Ordnung!«
Natürlich war nichts in Ordnung. Die Kugel hatte Tanja verfehlt, aber der Schock und die Aufregung der vergangenen Stunden waren einfach zu viel gewesen. Das Kind kam. Jetzt.
Sie kämpfte weiter verbissen mit Tanja, verzweifelt darum bemüht, sie festzuhalten, ohne ihr wehzutun, was beinahe unmöglich war, und hinter sich hörte sie immer noch diese furchtbaren, reißenden Laute, nicht mehr die Kampfgeräusche von Menschen, sondern ein Zerfetzen und Schlagen, als prallten zwei wütende Raubtiere aufeinander. Warum half ihr niemand? Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Selbst ohne das dämonische Ding in ihrem Rücken, das allerhöchstens noch Sekunden brauchen würde, um die beiden Männer zu überwältigen und sich auf sie zu stürzen, wäre sie vollkommen hilflos gewesen. Sie hatte niemals im Leben einer Geburt zugesehen, geschweige denn dabei geholfen, und es hatte sie auch niemals wirklich interessiert. Vielmehr hatte sie beinahe Angst davor gehabt, was sie jetzt umso besser verstand, denn etwas in ihr hatte vielleicht zeit ihres Lebens gewusst, dass dieser Moment kommen würde, und auch geahnt, wie er enden musste.
Ein dumpfer Schlag traf das Bett, dann noch einer und dann ertönte ein splitternder Laut. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie sich etwas neben ihr bewegte, aber ihr blieb keine Zeit hinzusehen. Tanja schrie und wehrte sich mit einer Kraft, der sie kaum etwas entgegenzusetzen hatte, dann stellte sie ihren Widerstand plötzlich ein und erschlaffte, und das war vielleicht noch schlimmer.
Rachel lockerte ihren Griff ein wenig und warf einen flüchtigen Blick nach rechts, nur um ihn im nächsten Moment schon wieder zu bedauern.
Unter allen anderen denkbaren Umständen hätte es ein Bild von großer Symbolkraft sein können, aber jetzt machte es ihr einfach nur Angst. De Ville und Benedikt, die ein Leben lang Todfeinde gewesen waren, kämpften Seite an Seite gegen die Kreatur, die jetzt kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Es waren nicht nur die furchtbaren Brandverletzungen und die neuen Wunden, die Benedikt und der Hauptmann ihr zugefügt hatten, sie bewegte sich nicht mehr wie ein Mensch, sondern schien plötzlich etwas Insektenhaftes, Spinnengleiches an sich zu haben, und es war auch kein wirklicher Kampf, denn nichts von dem, was Benedikt und De Ville auch taten, vermochte dem Geschöpf wirklich Schaden zuzufügen. Sie konnten sein Fleisch verletzen, seine Knochen zerbrechen, aber das, wogegen sie wirklich kämpften, war nicht verwundbar. Alles, was sie tun konnten, war, seinen blitzartigen Schlägen und Angriffen auszuweichen, so gut es möglich war, und es immer wieder zurückzutreiben, sobald es sich dem Bett und damit seinem Opfer zu nähern versuchte. Es war ein ungleicher, durch und durch unfairer Kampf und er konnte nur noch wenige Augenblicke währen.
Benedikt schien das auch begriffen zu haben, denn er schrie plötzlich: »Rachel! Raus hier! Nimm Tanja mit!«
Sie versuchte es und wäre beinahe vom Bett gefallen, als sie ihr Gewicht verlagerte, denn ihre Unterlage war plötzlich nicht mehr stabil, sondern kippte deutlich zur Seite. Als sie sich erschrocken umsah, begriff sie auch, warum. Darkov hatte die Beine gegen die Wand gestemmt und riss mit aller Kraft an dem Bettpfosten, an den Benedikt ihn gefesselt hatte, und es war ihm tatsächlich bereits gelungen, ihn halb herauszureißen. Noch eine letzte Anstrengung und das ganze Bett würde zusammenbrechen und Darkov wäre frei.
Vielleicht war es dieser Anblick, der Rachel noch einmal mit der Kraft der puren Verzweiflung erfüllte. Sie sprang auf, griff unter Tanjas Arme und zerrte sie in die Höhe, ohne auf ihre keuchenden Schmerzlaute Rücksicht zu
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