Flut: Roman (German Edition)
nehmen.
Aber auch die Kreatur hatte bemerkt, was sie vorhatte, vielleicht hatte sie auch einfach Benedikts Worte verstanden – obwohl Rachel das fast bezweifelte. Das Geschöpf vor ihr ähnelte nun nicht einmal mehr äußerlich ihrer alten Freundin, sondern war endgültig zu einem Dämon geworden, einem Ding, das zu grotesk war, um es zu beschreiben, und nur aus blutigem rohem Fleisch, Krallen und schlagenden Fledermausflügeln zu bestehen schien. Mit einem wütenden Pfeifen warf es sich nach vorn. De Ville trat nach seinem Knie (oder dem, was er wahrscheinlich dafür hielt) und er traf auch. Der Tritt hätte jedem menschlichen Angreifer die Knochen gebrochen, aber das Geschöpf stolperte nur leicht und versetzte ihm gleichzeitig einen Hieb mit einer seiner grotesken Fledermausschwingen, der De Ville einen Meter weit davonstolpern und bewusstlos zusammenbrechen ließ, und gleichzeitig fuhr die Bestie herum und warf sich mit einem kreischenden Schrei, dessen Frequenz Rachels Trommelfell schier zum Platzen zu bringen schien, in ihre Richtung.
Benedikt setzte dem Ungetüm nach, schlang die Hände um seinen Hals und riss es mit aller Gewalt zurück. Es gelang ihm nicht, die Bestie zu Boden zu ringen, aber statt sich auf Rachel und Tanja zu stürzen und sie unter sich zu begraben, prallte sie nur ungeschickt gegen die Bettkante. Seine wild fuhrwerkenden Krallen zerfetzten die Matratze und rissen Splitter aus dem Holz und dieser neuerliche Anprall war für das mehr als hundert Jahre alte Bettgestell zu viel. Es neigte sich träge zur Seite und brach dann zusammen. Rachel wurde heruntergeschleudert und prallte unsanft mit dem Hinterkopf gegen die Wand, sodass sie eine oder zwei Sekunden lang benommen liegen blieb, ehe sie auch nur die Kraft fand, die Lider zu heben und den Schmerz wegzublinzeln.
Im ersten Moment konnte sie kaum etwas sehen. Sie registrierte, dass Frank neben ihr lag und noch immer ohne Bewusstsein war, während Tanja leise wimmerte, halb auf dem zusammengebrochenen Bett und halb auf dem Boden lag und im ungünstigsten Moment der gesamten Weltgeschichte, in der jemals eine Frau ein Kind bekommen hatte, ihr Kind gebar. Noch etwas war anders, aber sie registrierte nur, dass es so war, nicht, was es war.
Und in ein paar Sekunden würde es auch keine Rolle mehr spielen. Die Bestie hatte auch Benedikt mittlerweile abgeschüttelt und richtete sich nun knurrend und geifernd wieder auf. In ihren Zügen war nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit denen Uschis zu erkennen und obwohl sie wusste, dass auch sie nun sterben würde, empfand Rachel in diesem Moment nichts als eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass das Bewusstsein ihrer Freundin nun offenbar endgültig erloschen war und sie nicht mehr miterleben musste, was geschah. Und das Gefühl, versagt zu haben. Sie hatte verloren. Sie war für eine bestimmte Aufgabe auserwählt worden und sie hatte sie nicht bewältigt. Dieses Gefühl tat sehr weh, aber auf eine Art, die sie sich bisher nicht einmal hatte vorstellen können. Vielleicht weil noch niemals, solange es Menschen gab, jemand um so viel gekämpft und so vieles verloren hatte wie sie. Sie sah der tobenden Kreatur ruhig und ohne eine Spur von Angst in die Augen und hoffte nur, dass es schnell vorbei sein würde. Für sie, aber vor allem für Tanja und ihr Kind, das geboren wurde, um in der nächsten Sekunde zu sterben.
Der Dämon breitete die Schwingen aus und spannte sich zum Sprung und Pjotr Darkov richtete sich mit einem Schrei neben ihr auf und schwang das zersplitterte Ende des Bettpfostens wie einen Speer. Alles ging so schnell, dass Rachel kaum Zeit blieb, wirklich zu begreifen, was sie sah, und doch schien es eine Ewigkeit zu dauern. Die Kreatur zögerte. Wenn ihre pupillenlosen schwarzen Augen überhaupt in der Lage waren, ein Gefühl auszudrücken, so war es Fassungslosigkeit und Verwirrung, als sie Darkov erkannte, der brüllend auf sie zustürmte. Im allerletzten Moment versuchte sie zu reagieren und hieb mit ihren schrecklichen Krallen nach ihm, aber nicht einmal ihre übermenschliche Schnelligkeit reichte noch aus. Darkov rammte ihr den Holzpflock mit aller Gewalt in die Brust. Der Angriff war so ungestüm, dass die Bestie nach hinten geworfen und zu Boden geschleudert wurde, und auch Darkov verlor unter dem Schwung seiner eigenen Bewegung den Halt, machte einen verzweifelten, stolpernden Schritt und fiel dann direkt in die Fänge des gestürzten Dämons hinein.
Für eine Sekunde wurde es
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