Flut: Roman (German Edition)
unendlich still. Es war, als hielte die Zeit den Atem an. Draußen vor dem Fenster loderte der Todesstern in weißem Licht und kam unaufhaltsam näher; Rachel hörte ein leises, qualvolles Stöhnen und dann ein noch leiseres Wimmern, von dem sie erst nach Sekunden begriff, dass sie selbst es war, die es ausstieß. Aber auf der anderen Seite des Bettes blieb es still. Weder Darkov noch das Monster richteten sich auf.
Unendlich behutsam stemmte sich Rachel in die Höhe. Tanja keuchte jetzt immer heftiger. Sie schrie nicht mehr, aber ihr Atem hörte sich irgendwie nicht richtig an und Rachel war klar, dass sie Hilfe brauchte, jetzt in diesem Sekundenbruchteil, nicht in einer Minute, nicht im nächsten Augenblick, sondern jetzt. Aber wenn sie sich nicht überzeugte, dass das Monstrum wirklich tot war, dann würde ihre Hilfe nur darin bestehen, ihr ein paar weitere Sekunden der Qual und vergeblichen Hoffnung zu bescheren. Sie vergewisserte sich mit einem hastigen Blick, dass das Kind noch nicht wirklich kam, dann trat sie zitternd um das Bett herum.
Darkov lebte noch. Er war schlimm verletzt, hatte sich aber von dem Monstrum herunter und auf den Rücken gewälzt und war ein kleines Stück davongekrochen. Das Ungeheuer selbst lag mit weit ausgebreiteten Schwingen auf dem Rücken und bewegte sich schwach. Doch selbst seiner unvorstellbaren Zähigkeit waren Grenzen gesetzt. Der Pfahl, den Darkov ihm in den Leib gerammt hatte, war zu viel gewesen. Er hatte den Körper der Bestie durchbohrt und auch wenn Rachel bezweifelte, dass sie so etwas wie ein Herz hatte, so hatte er ihr doch mehr Schaden zugefügt, als selbst diese Bestie verkraften konnte. De Ville lag reglos neben der Tür und auch Benedikt lag am Boden, begann sich aber bereits wieder zu bewegen und zog eine Grimasse in ihre Richtung, mit der er ihr wohl sagen wollte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Torben schließlich kniete auf der anderen Seite der Tür und hatte die Hände wieder halb erhoben, als wollte er beten, schien aber mitten in der Bewegung eingefroren zu sein und starrte aus weit aufgerissenen, von bodenlosem Entsetzen erfüllten Augen auf den gestürzten Dämon.
Rachel machte einen zögernden Schritt, näherte sich unendlich vorsichtig dem geflügelten Höllenboten und ließ sich schließlich neben Darkov auf ein Knie sinken. Müde hob er den Kopf und sah zu ihr hoch. Er hatte ein paar wirklich üble Schnittwunden abbekommen, aber der Crashkurs in Kampfverletzungen, den Rachel in den vergangenen Tagen absolviert hatte, sagte ihr auch, dass sie nicht lebensgefährlich waren.
»Sie?«, murmelte sie.
»Was ist daran so erstaunlich?«, fragte Darkov mühsam. »Wann habe ich jemals behauptet, dass ich auf der Seite des Teufels stehe?« Er lachte ganz leise. »Allerdings glaube ich, dass hier noch jemand demselben Irrtum erlegen ist.«
Er drehte den Kopf und sah die sterbende Bestie an und als Rachel dasselbe tat, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken.
Das Monstrum erholte sich!
Sie konnte nicht sagen, wie. Sie verstand nicht, was passierte, und hätte sie es verstanden, dann wäre das, was ihre Menschlichkeit ausmachte, vielleicht an diesem Verständnis zerbrochen, denn sie beobachtete etwas, das direkt aus der Hölle kam. Die Kreatur veränderte sich nicht wirklich, aber sie spürte, wie plötzlich etwas Uraltes, etwas Unsichtbares und durch und durch Böses den Raum erfüllte, etwas von so ungeheuerlicher destruktiver Macht, dass selbst Gott davor zurückschrecken musste.
»Nein!«, stöhnte Darkov. »Nein! Nicht das!«
Die Kreatur setzte sich auf. Darkov schrie und wollte sich auf sie werfen, aber sie fegte ihn mit einer fast nachlässigen Bewegung zur Seite, griff mit der anderen Hand nach dem Pfahl, mit dem er sie aufgespießt hatte, und riss ihn heraus. Die entsetzliche Wunde, die er ihr zugefügt hatte, schloss sich nicht, aber die Kreatur starb auch nicht daran, sondern gewann zusehends an Kraft und stemmte sich langsam, noch schwankend, aber mit bereits wieder sicherer werdenden Bewegungen in die Höhe. Benedikt hatte nicht die Kraft, sich aufzusetzen oder gar aufzuspringen, aber er ließ sich mit ausgestreckten Armen in ihre Richtung fallen und versuchte sie zu packen, doch die Kreatur schüttelte ihn einfach ab. Sie machte sich nicht einmal mehr die Mühe, nach ihm zu schlagen.
Entsetzt wich Rachel vor dem Dämon zurück. Er folgte ihr, Schritt für Schritt, langsam und schleppend, aber auch unaufhaltsam, bis sie
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