Flut: Roman (German Edition)
Misstrauen war schlagartig wieder da, falls es überhaupt jemals erloschen gewesen war. »Wo Sie ihn doch angeblich überhaupt nicht kennen.«
Das Wort »angeblich« ärgerte sie schon wieder, aber sie ließ es sich nicht anmerken, sondern antwortete ruhig: »Immerhin hat er eine Menge riskiert, um mich zu warnen. Vielleicht erzählt er mir ja, was eigentlich los ist.«
»Kaum«, antwortete De Ville, aber Rachel fuhr lauter und in verändertem Tonfall fort:
»Ganz egal, was er sagt, es kann uns weiterhelfen. Das waren doch Ihre eigenen Worte, oder?«
»Jede noch so winzige Kleinigkeit.« Naubach wirkte leicht amüsiert, aber De Ville schien nicht überzeugt.
Wenigstens blieb er nicht bei seiner energischen Ablehnung. »Ich weiß nicht«, sagte er unschlüssig. »Wer immer dieser Mann ist, er ist bestimmt nicht dumm. Er wird uns nichts verraten.«
»Uns nicht, aber vielleicht mir«, beharrte Rachel. »Was haben wir denn zu verlieren?«
»Nichts«, sagte Naubach.
De Ville warf ihm einen leicht indignierten Blick zu, beinahe als hätte er seine Anwesenheit zwischenzeitlich ganz vergessen und fragte sich, wieso sich Naubach überhaupt in ihr Gespräch einmischte. Aber endlich nickte er, wenn auch mit allen Anzeichen von Widerwillen. »Also gut. Aber wir werden das Gespräch mithören.«
»Muss ich mich ausziehen, damit Sie mir ein Mikrofon an die Brust kleben können?«, fragte Rachel. Es war ein Scherz, der zugegebenermaßen weder besonders originell noch komisch war, aber mehr auch nicht. Trotzdem merkte sie an De Villes Reaktion, dass ihn ihre Worte fast peinlich berührten.
»Das wird kaum nötig sein«, sagte er und stand auf. »Wenn Sie mich begleiten würden?«
Rachel erhob sich gehorsam und auch Naubach stemmte seine Körperfülle von dem Plastikstuhl hoch. Als De Ville sich umwandte und zur Tür gehen wollte, fragte Rachel: »Übrigens, wie war der Kaffee?«
De Ville blieb stehen, sah zum Tisch zurück und musterte zuerst die halb geleerte Kaffeetasse und dann sie mit einem gleichermaßen verwirrten wie misstrauischen Blick. Vielleicht erinnerte er sich ja in diesem Moment an die sonderbare Art, auf die Naubach und sie die Tasse angestarrt hatten. »Gut«, sagte er. »Vielleicht ein bisschen zu stark. Warum fragen Sie? Stimmt etwas nicht damit?«
»Nein, nein, nichts«, versicherte Rachel hastig. »Ich frage nur so.«
Naubach grinste breit.
***
Das Zimmer, in dem Darkov untergebracht war, lag zwei Etagen tiefer im ersten Stock des Krankenhauses. Sie fuhren mit dem Aufzug hinunter. Vor dem Lift warteten zwei Polizeibeamte in grünen Uniformen, die sich unaufgefordert zu ihnen gesellten, und auch vor der Milchglastür der Intensivstation erwarteten sie uniformierte Beamte, die misstrauisch jeden kontrollierten, der den Gang hinter ihnen betreten wollte. Naubach hatte zwar behauptet, sie befänden sich nicht im Krieg, aber Rachel konnte sich trotzdem des Eindrucks nicht erwehren, dass sich zumindest dieses Krankenhaus in einem unerklärten Belagerungszustand befand.
Darüber hinaus war sie ziemlich erschrocken, als ihr klar wurde, auf welche Abteilung man Darkov verlegt hatte. »Ich dachte, sein Zustand wäre nicht so schlimm?«
»Ist er auch nicht«, beruhigte sie Naubach. »Aber das hier ist der einzige Trakt, den man einigermaßen absichern kann Keine Sorge, es geht ihm schon wieder ganz gut.«
»Sie glauben, sie … sie könnten hierher kommen?«, fragte Rachel – ungläubig, aber auch ein bisschen erschrocken. Diese Möglichkeit hatte sie bisher nicht einmal in Betracht gezogen, die beiden Polizeibeamten aber offensichtlich schon.
Naubach hob die Schultern und wartete, bis die Streifenbeamten die Tür freigegeben und sie durchgelassen hatten, bevor er antwortete: »Solange ich nicht weiß, mit wem ich es eigentlich zu tun habe, glaube ich gar nichts, aber ich rechne prinzipiell mit allem. Außerdem sind diese Killer nicht unser einziges Problem. Vielleicht noch nicht einmal unser größtes.« Er machte eine zornige Kopfbewegung in keine bestimmte Richtung. »Draußen auf dem Parkplatz sind die römischen Kohorten aufmarschiert, nur dass sie statt mit Schild und Speer mit Fotoapparaten und Tonbandgeräten bewaffnet sind.«
»Reporter?«, vermutete Rachel.
»Die Pest der modernen Zeit«, bestätigte Naubach. »Manchmal ist Pressefreiheit wirklich Scheiße.«
De Ville, der natürlich jedes Wort gehört hatte, enthielt sich jeglichen Kommentars, bedachte sie aber beide mit einem schrägen
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