Flut: Roman (German Edition)
aus einem zu groß geratenen Lätzchen bestanden und hinten offen waren, sodass jeder Ausflug aus dem Bett zu einer peinlichen Angelegenheit wurde, und einen weißen Verband um die Stirn. Wäre die Erinnerung an die beiden Polizeibeamten nicht gewesen, die draußen vor der Tür Wache hielten, und die verchromte Handschelle, die seinen linken Arm an das Bettgestell fesselte, er hätte ein ganz normaler Patient sein können. Offenbar hatte Naubach die Wahrheit gesagt: Man hatte ihn nicht auf die Intensivstation gebracht, weil es aus medizinischer Sicht notwendig gewesen wäre, sondern weil sich dieser Trakt der Klinik am besten bewachen ließ. Die Vorstellung hatte etwas Beruhigendes.
Darkov hatte ihr Eintreten natürlich bemerkt und sah ihr schweigend und mit sehr ernstem Ausdruck entgegen. Dennoch glaubte sie, die Andeutung eines Lächelns in seinen Augen zu erkennen, als sie das Bett erreicht hatte und kurz davor stehen blieb. Das Zimmer war nicht besonders hell.
»Hallo«, begann sie unbeholfen. Was war los mit ihr? Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen.
»Ist es schlimm?« Darkov deutete mit einer Kopfbewegung auf die sauberen weißen Verbände, die sich um ihre Handgelenke schmiegten. Hätte sie noch das passende Kleid dazu getragen, man hätte glauben können, sie sei auf dem Weg zu einem Tennismatch.
Rachel schüttelte den Kopf und das Lächeln verließ seine Augen und breitete sich für eine Sekunde auf seinem ganzen Gesicht aus. »Ich bin sehr froh, dass dir nichts passiert ist.«
»Hey«, protestierte Rachel. »Das ist mein Satz. Wie geht es Ihrem Kopf?« Sie wusste selbst, wie hölzern das klang, aber sie musste noch immer mit jedem einzelnen Wort ringen. Vielleicht lag das an der Tatsache, dass sie sich mit jeder Sekunde des Umstandes bewusster wurde, belauscht zu werden. Es war ungefähr so angenehm, als stünde De Ville unsichtbar hinter ihr und schriebe mit.
»Das war wirklich nur ein Kratzer«, behauptete Darkov. Anscheinend wollte er die Hand heben und nach seiner Stirn deuten, aber die Handschelle setzte der Bewegung nach ein paar Zentimetern ein abruptes Ende. Für einen kurzen Augenblick zitterte das ganze Bett.
»Vorhin sah das aber anders aus«, sagte sie.
»So ist es nun mal mit Kopfverletzungen. Man blutet immer wie ein frisch abgestochenes Schwein.«
»Fällt man auch immer in Ohnmacht?« Sie bedauerte die Worte, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte, denn das Lächeln in seinen Augen erlosch nun endgültig und machte einem Ausdruck von Betroffenheit Platz. Vielleicht hatte er in ihrer Frage einen Vorwurf gehört, den sie ganz bestimmt nicht hatte hineinlegen wollen.
»Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Ich habe versagt. Um ein Haar wärst du getötet worden. Das hätte nie passieren dürfen.«
»Ach, Unsinn«, widersprach Rachel. »Sie haben mir das Leben gerettet. Ohne Sie hätten die Kerle mich verschleppt oder vielleicht gleich umgebracht.« Sie zögerte noch einen winzigen Moment. »Ich verstehe nur nicht, warum.« Das war alles andere als eine rhetorisch geschliffene Formulierung, gar keine Frage, die ihm möglicherweise eine Antwort entlocken konnte, die er gar nicht geben wollte. Aber wenn sie darauf wartete, dass ihr die passenden Worte einfielen, dann stand sie möglicherweise morgen früh noch hier. Irgendetwas musste an seiner Gegenwart sein, das sie über die Maßen verwirrte. Vielleicht war es auch gar nicht er. Vielleicht weckte seine Gegenwart einfach nur die Erinnerung an die zurückliegende Zeit. Rachel bildete sich nicht ein, das irrsinnige Intermezzo bereits verarbeitet zu haben. Das würde später kommen, wenn überhaupt, und vermutlich würde es verdammt hart werden. Im Moment war sie schon mit der Vorstellung zufrieden, dass irgendetwas in ihrem Bewusstsein eine Art Pufferzone eingerichtet haben musste, in der unterschiedslos jede Art von Schrecken, Angst und Entsetzen zwischengelagert wurde, die sie in den zurückliegenden schrecklichen Minuten durchlebt hatte. Mit ein wenig Glück würde dieses Sammelsurium unangenehmer Erinnerungen langsam verblassen oder wenigstens in homöopathischen Dosen weitergegeben werden, die leichter zu ertragen waren. Und mit ein bisschen weniger Glück …
Nun, dann hatte sie eben weniger Glück. Rachel schüttelte den Gedanken ab. »Sie haben nicht geantwortet.«
Fast schien es, als würde Darkov auch darauf nicht antworten wollen, aber dann deutete er ein kaum merkliches Kopfnicken an. »Es wäre nicht
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