Flut: Roman (German Edition)
Rachel. »Keine Sorge. Ich mache keine Schwierigkeiten. Ich will nur ein paar Sachen zusammenpacken und mich umziehen.« Sie deutete an sich herab. »Ich sehe aus wie ein Schwein.«
Weder De Ville noch Naubach machten sich die Mühe, aus reiner Höflichkeit zu widersprechen. Es wäre auch ziemlich lächerlich gewesen, denn sie hatte Recht. Der Schlamm an ihrer Kleidung war mittlerweile getrocknet und irgendwann zwischendurch hatte sie sogar Zeit gefunden, sich die Haare zu waschen. Aber das war auch schon alles. Ihre Kleidung starrte vor Schmutz und sie fühlte sich am ganzen Leib schmierig.
»Die paar Minuten werden nicht schaden«, murmelte Naubach. »Ich fahre Sie rasch selbst.«
»Aber danach kommen Sie bitte wieder hierher zurück«, fügte De Ville hinzu. »Einer meiner Männer wird Sie an einen sicheren Ort bringen.«
Naubach verstand die Anspielung sehr wohl, aber er war klug genug – oder vielleicht auch einfach nur müde genug –, es bei einem viel sagenden Stirnrunzeln als Antwort zu belassen. Rachel wunderte sich erneut über ihre eigenen Reaktion; so wenig, wie sie Naubach leiden konnte, hätte sie zumindest eine gewisse Schadenfreude empfinden sollen, dass er endlich seinen Meister gefunden zu haben schien, aber dem war nicht so. Er tat ihr sogar ein wenig Leid. Aber wirklich nur ein wenig.
Kapitel 4
Sie verließen das Krankenhaus nicht durch die Halle, sondern mit Naubachs Privatwagen, einem betagten Mercedes, durch eine Ausfahrt der Tiefgarage, die auf den rückwärtigen Teil des Klinikgeländes hinausführte. Als sie den Block umrundeten und in raschem Tempo am Haupteingang des Krankenhauses vorbeifuhren, sah Rachel auch, was er gemeint hatte: Es waren nicht die römischen Legionen, die das Gebäude belagerten, aber doch gute zwei Dutzend Journalisten, mit Diktiergeräten, Kameras und Fotoapparaten mit gewaltigen Teleobjektiven bewaffnet, und Rachel nahm an, dass ungefähr noch einmal die gleiche Anzahl genau in diesem Moment versuchte die Klinik auf irgendeine andere (und möglichst unauffällige) Weise zu betreten. Nicht wenige der Gesichter kannte sie. Sie waren der Grund, weshalb sie die Stadt verlassen hatte. Nun ja – einer der Gründe.
»Sehen Sie nicht so auffällig hin«, sagte Naubach. »Wenn sie erkennen, wer bei mir im Wagen sitzt, haben wir die ganz Bande wieder am Hals.«
Falls sie nicht schon vor meiner Haustür auf uns warten, fügte Rachel in Gedanken hinzu, was mit einiger Wahrscheinlichkeit der Fall sein würde. Mit ziemlicher Sicherheit sogar. Wahrscheinlich konnte sie ihr Elternhaus heute Abend in den Nachrichten bewundern, zusammen mit einem Uraltfoto von ihr selbst, das aussah wie direkt aus der Ahnengalerie einer Mafiafamilie. So ungern sie es zugab – sie war vermutlich gut damit beraten, De Villes Vorschlag anzunehmen und sich für eine Weile irgendwo zu verkriechen. Wenigstens, bis sich die größte Aufregung gelegt hatte. Und so ganz nebenbei: Es gab kaum ein besseres Versteck für einen Mann mit einer Pistole als eine Horde aufdringlicher Reporter, die ihr Haus belagerten, über die Zäune zu klettern versuchten, ihre Blumenbeete niedertrampelten und sich die Nasen an den Fensterscheiben platt drückten, um ein verwackeltes Foto zu schießen. Vielleicht sollte sie wegziehen.
»Wissen Sie, meine Liebe«, sagte Naubach in das unbehaglich werdende Schweigen hinein, das nur vom regelmäßigen Geräusch der Scheibenwischer und dem Trommeln des Regens auf dem Wagendach unterbrochen wurde, »Sie hätten sich selbst und auch mir eine Menge Ärger ersparen können, wenn Sie nicht einfach so sang- und klanglos verschwunden wären.«
»Ich dachte, wir leben in einem freien Land«, antwortete Rachel spitz. »Oder ist während meiner Abwesenheit die Meldepflicht wieder eingeführt worden?«
»Nein«, erwiderte Naubach, »aber wir hätten Sie beispielsweise warnen können.«
»So wie Tanja?«
Naubach blieb weiter ruhig. Vielleicht gab es nichts mehr, was ihn noch erschüttern konnte, weil er in dreißig Jahren im Polizeidienst jede nur denkbare Beleidigung und Provokation schon ein Dutzend Mal gehört hatte. »Das hätte nichts genutzt«, sagte er. »Soweit wir das rekonstruieren konnten, war sie die Erste, die entführt wurde.« Er seufzte. »Das alles ergibt einfach keinen Sinn.« Vielleicht wartete er auf eine Antwort, aber er würde keine bekommen. Nach einer Weile wechselte er das Thema. »Sie müssen mir noch die Adresse Ihrer Freundin geben, bei der Sie die
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