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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einzigen heftigen Ruck heraus. Er benötigte kaum eine Sekunde, um aus dem Gewirr verschiedenfarbiger Drähte darunter die beiden richtigen herauszufinden und zusammenzudrehen. Der Motor sprang mit einem beruhigenden Geräusch an. Ob er einen Wagen kurzschließen konnte? Was für eine Frage.
    Rachel legte den Rückwärtsgang ein, wendete im engstmöglichen Bogen und gab Gas, nachdem die klobige Kühlerhaube des Mercedes genau auf die nach oben führende Rampe deutete. Der Motor heulte auf, aber der Wagen setzte sich nur mit enervierender Langsamkeit in Bewegung. Im ersten Moment glaubte sie sogar, der Motor sei kaputt, aber dann wurde ihr klar, dass sie nicht mit ihrem eigenen, hochgetunten Sportwagen fuhr, sondern mit einem betagten 200er-Diesel. Für eine Verfolgungsjagd mit quietschenden Reifen war diese Kiste jedenfalls denkbar ungeeignet.
    Sie warf einen raschen Blick in den Rückspiegel, während sie den Fuß behutsam vom Gas nahm. Der Wagen näherte sich der Rampe, trotzdem genauso schnell – oder langsam – wie zuvor. Die Metalltür war zwar von selbst wieder zugefallen, wie es die Brandschutzvorschriften verlangten, und bisher war von Verfolgern nichts zu sehen; irgendwie hatte sie aber das Gefühl, dass es wichtig war. Wenn die Verfolger wussten, in welchem Wagen sie saßen, dann waren sie schon so gut wie verloren. Aber die Tür war geschlossen und sie blieb es auch, bis sie die Auffahrt erreichte und sich darauf konzentrieren musste, den Wagen nicht gegen die Wände des engen Schneckenhauses aus Beton zu setzen, das nach oben führte.
    Ihre Glückssträhne (Glück? – ein wirklich guter Witz!) hielt an. Das Rolltor am oberen Ende der Auffahrt stand offen und auf dem kurzen Stück des Klinikgeländes, das sie überqueren mussten, herrschte ein so heilloses Durcheinander, dass sie zwar nur im Schritttempo vorwärts kamen, aber niemand auch nur Notiz von ihnen nahm.
    Auf der anderen Seite des Krankenhausgeländes, dreihundert Meter entfernt, heulten Sirenen und gellten noch immer Schreie und wild durcheinander brüllende Stimmen. Als sie auf die Straße hinausfuhren, warf sie noch einmal einen Blick in den Rückspiegel und sah eine schwarze Rauchwolke, die sich über dem Gebäude erhob. Nicht einmal der heftig strömende Regen vermochte sie auseinander zu reißen, als würde sie von einem finsteren Zauber beschützt. »Und jetzt?«, fragte sie, nachdem sie das Gelände verlassen hatten und wahllos abgebogen waren. Im Grunde war ihr die Richtung egal, nur weg vom Zentrum des Chaos.
    Ein Polizeiwagen kam ihnen entgegen und raste mit heulender Sirene vorbei, ohne sie zu beachten.
    »Nach Süden«, murmelte Darkov. »Wir müssen raus aus der Stadt. Sie werden Straßensperren errichten.«
    »Prima«, sagte Rachel. »Genau die Neuigkeit, die ich jetzt brauche. Und wohin nach Süden genau?«
    Sie bekam keine Antwort und als sie den Blick wandte und Darkov ansah, erkannte sie, dass er endgültig in sich zusammengesunken war und das Bewusstsein verloren hatte.
    Falls die Polizei tatsächlich Straßensperren errichtete, dann kam sie zu spät. Was allerdings kein Wunder war – Rachel befuhr die Ausfallstraße mit rücksichtslos überhöhter Geschwindigkeit. Die Polizei hatte im Moment ganz bestimmt anderes zu tun, als Radarfallen aufzustellen und Verkehrssünder zu jagen. Eine Zeit lang fuhr sie in Richtung Autobahn, ganz selbstverständlich ihrem Instinkt folgend, die Stadt auf dem schnellstmöglichen Weg zu verlassen, bog aber dann wieder von dem einmal eingeschlagenen Kurs ab und fuhr in Richtung Landstraße weiter. Wenn die Polizei nach ihnen suchte, dann ganz gewiss zuallererst auf der Autobahn, die am einfachsten zu überwachen war. Auch die Bundesstraße barg gewisse Gefahren – wie fast überall gab es auch hier nicht allzu viele Möglichkeiten, die Stadt zu verlassen, eine Tatsache, die den meisten Menschen kaum bewusst war. Andererseits: Wenn es ihr gelang, erst einmal die Stadtgrenze hinter sich zu bringen und in das Gewirr kleinerer Ortschaften, Landstraßen und Wirtschaftswege dahinter unterzutauchen, dann konnten sie nach ihr suchen, bis sie schwarz wurden.
    An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen, wurde Rachel schmerzhaft klar, dass sie bereits wie ein Verbrecher auf der Flucht dachte – und handelte; mit einer Kaltblütigkeit und Konsequenz, die sie beinahe selbst erschreckte. Sie verstand einfach selber nicht, warum. Wenn überhaupt, dann war sie das Opfer in dieser Geschichte, nicht der

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