Flut: Roman (German Edition)
am Straßenrand geparkt war, war schon einmal einen Blick wert und jeder, der ausstieg und im Regen spazieren ging, erst recht. Wenn sie sich eines nicht leisten konnte, dann, Aufsehen zu erregen. Rachel zog eine ärgerliche Grimasse, als ihr klar wurde, dass sie bereits zu denken begann wie eine Verbrecherin. Verdammt, sie hatte nichts getan! Ganz im Gegenteil.
Wütend ging sie zum Wagen zurück, stieg ein und knallte die Tür mit solcher Wucht hinter sich zu, dass Benedikt überrascht die Brauen zusammenzog. »Zu kalt zum Spazierengehen?«
»Nein, verdammt!«, antwortete sie gereizt. »Ich frage mich nur, ob ich eigentlich noch alle Tassen im Schrank habe, hier draußen mit Ihnen im Wagen zu sitzen und vor der Polizei zu fliehen, statt so schnell wie möglich zu ihr zu laufen und sie zu bitten, mich in Schutzhaft zu nehmen. Und Sie gleich dazu.«
»Vielleicht, weil du spürst, dass du das Richtige tust«, antwortete Darkov.
Seine Worte machten sie noch ärgerlicher. Sie funkelte ihn an. »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass wir miteinander Brüderschaft getrunken haben«, fauchte sie. »Und ich sehe verdammt noch mal nicht ein, was an dem hier richtig sein soll!«
»Weil du nicht verstehst, worum es geht«, antwortete Darkov sanft. »Und wie könntest du auch?«
Rachel schloss die Augen, zählte in Gedanken ganz langsam bis fünf und zwang sich, wenigstens äußerlich einen Anschein von Ruhe zu bewahren. Das Schlimmste war, dass es ihr einfach nicht gelang, wirklich wütend auf Benedikt zu sein: Sie war wütend – auf sich, auf diese Irrsinnigen, die hinter ihr her waren, auf das Schicksal und selbstverständlich auch auf ihn, aber nicht so wütend, wie sie es sein sollte. Fast, als hätte er Recht und irgendetwas in ihr spürte, dass er auf der richtigen Seite stand.
Was für ein Unsinn! Das Einzige, was irgendetwas in ihr spürte, war, dass sie seit mittlerweile weit mehr als dreißig Stunden nicht mehr richtig geschlafen hatte, dass ihr so ziemlich jeder Knochen im Leib wehtat und dass sie sich auf irgendeine Weise mitten in einem Hollywood-Actionfilm wiedergefunden hatte; einem von der ganz üblen Sorte, in dem jeder auf jeden schießt und eigentlich niemand so genau weiß, warum.
»Du solltest weiterfahren«, sagte Darkov. »Wenn sie uns hier entdecken, ist es aus. Sie werden mich töten und dich mitnehmen und vielleicht auch töten.«
»Sparen Sie sich die Mühe – falls es Ihnen darum geht, mir Angst zu machen: Die habe ich schon.« Rachel streckte die Hand nach dem Armaturenbrett aus und ließ sie auf halbem Weg wieder sinken, als ihr klar wurde, dass kein Schlüssel im Schloss steckte.
Darkov wollte sich zu ihr herüberbeugen, um den Wagen zu starten, aber sie schüttelte den Kopf und ließ die Hand stattdessen auf das Autotelefon sinken. »Verraten Sie mir einen einzigen vernünftigen Grund, warum ich nicht abheben und die Hundertzehn wählen soll«, sagte sie. »Noch habe ich jede Möglichkeit, irgendwie aus der Geschichte herauszukommen. Niemand wird sich etwas dabei denken, dass ich geflohen bin. Ich habe einfach in dem Chaos die Nerven verloren.«
»Die Männer, die hinter dir her sind«, antwortete Darkov, »würden es nicht zulassen. Du hast gesehen, wozu sie fähig sind.«
»Womit wir wieder am Anfang wären«, sagte Rachel in müdem Tonfall. »Wer sind sie?«
Darkov schwieg einen Moment, als müsse er darüber nachdenken, wie er ihre Frage beantworten konnte. Wahrscheinlicher aber war, dass er über eine plausibel klingende Ausrede nachdachte. »Gefährliche Männer«, sagte er.
»Ach? Gut, dass ich das erfahre. Ich hätte es sonst womöglich gar nicht gemerkt.«
»Du würdest sie Söldner nennen«, fuhr Darkov unbeeindruckt fort, »auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entspricht.«
»Söldner? Aber was habe ich denn …?«
»Fahr weiter«, unterbrach sie Darkov. »Bitte. Ich werde dir alles erklären, so weit ich es kann.« Er knotete die beiden Drähte wieder zusammen und der Motor des Mercedes sprang gehorsam an. Ein warmer Luftstrom drang aus den Schlitzen der Heizung und auch die Scheibenwischer begannen wieder mit ihrem monotonen Hin und Her.
Rachel hielt für einen Moment die gespreizten Finger über das Armaturenbrett. Sie merkte erst jetzt, wie kalt es draußen gewesen war. »Also gut«, sagte sie widerstrebend. »Der nächste Ort ist sieben Kilometer entfernt. Wenn Sie mich bis dahin überzeugt haben, liefere ich Sie vielleicht nicht an die Polizei aus.« Ja, das
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