Flut: Roman (German Edition)
hinzu: »Und was hat das alles mit diesem … Unwetter zu tun?«
Darkov sah sie gerade lange genug weiter schweigend und auf diese seltsame Art an, um sie zu der Überzeugung gelangen zu lassen, dass er auch jetzt nicht antworten würde. Dann schüttelte er den Kopf und lehnte sich ein kleines Stück auf dem Beifahrersitz zurück; fast, als bräuchte er eine bequemere Stellung, um Muße für eine lange und ausführliche Erklärung zu haben. Und noch etwas: Als er redete, wurde ihr klar, dass das, was er sagte, nicht die Wahrheit war. Jedenfalls nicht die ganze Wahrheit.
»Die Männer, die hinter dir her waren und die deine Freundin und die anderen entführt haben«, sagte er, »glauben, dass es Gottes Strafgericht ist. Dass das Ende der Welt naht.«
Die Worte hätten sie nicht überraschen dürfen nach dem, was sie gerade gesagt und wie er auf ihre Erwiderung reagiert hatte, aber sie fuhr trotzdem leicht zusammen und warf ihm einen raschen, bösen Blick aus den Augenwinkeln zu. »Und?«
»Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben«, sagte Darkov.
»Genesis sechs, Vers sieben«, reagierte Rachel, ohne auch nur darüber nachzudenken. Und auch dann verging noch einmal eine gute Sekunde, bis die Bedeutung dessen, was er gerade gesagt hatte, wirklich in ihr Bewusstsein drang – dann allerdings heftig genug, um sie so hart auf die Bremse treten zu lassen, dass der Wagen um ein Haar ausgebrochen wäre und auf blockierenden Reifen ein Stück weit über den regennassen Straßenbelag schlitterte, bis sie den schweren Mercedes wieder unter Kontrolle hatte. Sie ließ den Fuß weiter auf der Bremse, aber nicht mehr so hart, dass Naubachs altersschwaches Vehikel auszubrechen drohte. So schnell es ging, aber mit der gebotenen Vorsicht lenkte sie den Wagen an den rechten Straßenrand und kuppelte aus.
»Fahr weiter«, sagte Darkov sanft. »Es ist nicht gut, wenn wir zu lange an einem Ort bleiben.«
Rachel schlug wütend mit der flachen Hand auf das Lenkrad. »Den Teufel werde ich tun!«, sagte sie. »Ich fahre keinen Meter, bevor ich nicht endlich weiß, was hier gespielt wird!«Darkov maß sie mit einem fast traurigen Blick. »Wäre es nur so einfach zu erklären«, sagte er. »Dabei ist es so leicht. Es steht alles geschrieben. Die Menschen haben nur vergessen zu glauben.«
Rachel trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf dem Lenkrad. Sie sagte nichts, aber ihr Blick wanderte fast ohne ihr Zutun wieder zum Rückspiegel und suchte die Straße hinter ihnen ab. Sie war so leer, wie sie es die ganze Zeit über gewesen war und auch aller Logik nach weiter bleiben würde. Woher kam aber dann das Gefühl der Bedrohung, die sich von Moment zu Moment näherte?
Vielleicht saß der Grund ja einen halben Meter neben ihr …
»Bitte fahr weiter«, sagte Darkov zum wiederholten Male. »Ich werde dir alles erklären, soweit … soweit ich es kann.«
»Oh«, sagte Rachel.
»Bitte!«
»Nun, warum eigentlich nicht?«
Sie hatten noch vier oder fünf Kilometer vor sich – selbst wenn sie langsam fuhr, allerhöchstens zehn Minuten –, sie vergab sich rein gar nichts, wenn sie ihm diese Frist noch gönnte. Und sie hatte nichts zu gewinnen, wenn sie darüber in Streit gerieten und sie darauf beharrte, hier zu bleiben. Mit einem angedeuteten Achselzucken legte sie den Gang ein und fuhr los, und obwohl sie dabei in den Rückspiegel sah, blieb ihr nicht verborgen, dass Darkov erleichtert aufatmete.
»Wir hatten unsere Chance«, begann Darkov, nachdem sie sich wieder in Bewegung gesetzt und einigermaßen an Geschwindigkeit gewonnen hatten. »Mehr als nur eine. Gott war geduldig mit uns. Zweitausend Jahre lang Geduld, das ist eine lange Zeit. Meinst du nicht? Mehr, als man erwarten sollte. Aber was haben wir daraus gemacht? Was haben wir gelernt, seit der Zeit der römischen Kaiser?« Er schüttelte den Kopf. »Nichts. Die Welt ist schlimmer denn je. Ungerechtigkeit, Hass, Neid und Habsucht, wohin du auch blickst. Wir haben unsere Chance gehabt, aber wir haben sie nicht genutzt. Babel ist überall. Gottes Geduld ist erschöpft.«
Rachel schwieg verbissen weiter. Darkovs Worte klangen so absurd, dass sie sich einen Moment lang fragte, warum sie eigentlich nicht laut zu lachen begann. Sogleich aber machten sie ihr auch Angst. Seit die Erde in die Bahn des Meteoritenschwarmes geraten war
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