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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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hieß die Ortsangabe: auf dem alten Goethe.

4. KAPITEL
KEIN GEHEIMNIS
    Ein dicker Leitz-Ordner. Auf das Etikett habe ich 1996 mit grünem Filzstift Großvater geschrieben, darunter in etwas kleineren Buchstaben NS-Dokumente . Im Innern befinden sich vier mit Heftstreifen zusammengehaltene Stöße Schwarzweißkopien. Vor das jeweils erste Blatt ist eine ebenfalls von meiner Hand beschriftete Karteikarte geklemmt: 1) Personalakte BDC; 2) Bundesarchiv NS-Akten; 3) Akten der Zentralen Stelle Ludwigsburg; 4) Nürnberger Dokumente. Die Kopien des ersten und umfangreichsten Konvoluts sind mit Bleistift numeriert. Blatt Nr. 2b zeigt eine sichere deutsche Handschrift, mittelgroß und ohne auffällige Merkmale.
    Am 11. April 1908 wurde ich als 3. Sohn von 4 Söhnen des Oberlehrers Dr. Heinrich Leo und seiner Ehefrau Gesine Lange in Vegesack geboren. Ich besuchte das Realgymnasium in Vegesack bis zur Obersekundarreife. Ich trat dann in die Forstlehre als Privatforstlehrling. Nach 3 jähriger Lehrzeit schloß ich meine Berufsausbildung mit dem bestandenen Forstgehilfeexamen ab. Da ich im Jahre 1928/29 keine Stellung bekommen konnte beschäftigte ich mich zunächst als Praktikant beim Katasteramt und Kreisausschuß, Jugendamt in Blumenthal an der Unterweser. Als ich dort meiner politischen Einstellung wegen entlassen wurde, betätigte ich mich in der Landwirtschaft, um mich als Siedler umschulen zu lassen. Eine eigene Neubauernstelle konnte ich wegen des fehlendenAnzahlungskapital nicht übernehmen. Im Besitze des Neubauernscheins bin ich seit 1934. Eine mir dann als Schulungsleiter innerhalb der Landbauernschaft Hannover angebotene Stellung nahm ich im Januar 1935 an. Bis Februar 1936 war ich dann Sachbearbeiter in der Abteilung Landjugend und weltanschauliche Schulung. Von dort wurde ich als Sachbearbeiter für die H. A. I an die Kreisbauernschaft Danneberg versetzt.
    Seit 1921 war ich Mitglied des deutschen Pfadfinderbundes, wo ich seit 1929 als Gauführer und Leiter des Grenzlandamtes Nordschleswig und Mitarbeiter im Siedlungsbund war. Von dort wurde ich als Gefolgschaftsführer der H. J. übernommen. Herbst 1934 trat ich in die SS und war bisher in der 88. 12. u. 17. SS Standarte als Sturmbannschulungsleiter tätig. Am 2. 3. 1935 verheiratete ich mich mit Trina Dodenhoff. Aus unserer Ehe ging 2 Kinder, weibl. Geschlechts hervor.
    So hat es am 8. Dezember 1937 der SS-Rottenführer Friedrich Leo über sich selbst geschrieben. Sieben Rechtschreibfehler auf einer Seite, kein Desaster, aber im freien Diktat wäre das nach den strengen Maßstäben seiner Schulzeit bestenfalls befriedigend gewesen. Für eine Bewerbung in die Reichshauptstadt, deren Erfolg das erste Schrittchen auf einer Karriereleiter bedeuten würde, jedenfalls erstaunlich viel. Andererseits, hätte er sie seinen studierten Brüdern zum Gegenlesen schicken sollen? Zusammen mit einem ausgefüllten Fragebogen, der die Konfession als gottgläubig ausweist und – nicht wahrheitsgemäß – als einzige Krankheit im Kreis der unmittelbaren Verwandten die mütterliche Neigung zu chronischen Kopfschmerzen nennt, wird diese Selbstauskunft am 11. Dezember 1937 ihrem Empfänger zugestellt: Rasse- und Siedlungshauptamt SS, Hedemannstraße 24, Berlin SW 68.
    Vor dem Hintergrund des jahrelangen Dahintreibens in einer Übergangszeit, das dieser Lebenslauf dokumentiert, muss man sagen: Friedrich nimmt allmählich Fahrt auf. Das erste und letzte Mal in seinem langen Leben. Mit der Anfertigung eines neuen Stammrollen-Auszugs darf er sich mit Wirkung vom 29. April 1938 tatsächlich Führer im RuS-Hauptamt-SS nennen. Sein Einsatzgebiet bleibt aber vorläufig noch die 17. SS-Standarte, mit der er sich in seiner Freizeit die Welt anschaut. Das bescheidene Gehalt überweist weiterhin der Reichsnährstand, für den er im preußischen Regierungsbezirk Lüneburg Sachen bearbeitet. Und was machen Sie so? Ich bearbeite Sachen und schaue die Welt an. Ein kleiner Provinzangestellter der nationalsozialistischen Agrarbürokratie, abgebrochenes Gymnasium, verheiratet, 2 Töchter, Hobbys: Lesen, SS. Wer weiß, wie lange dieses zwar endlich geregelte, aber wohl auch ein wenig langweilige Leben so weitergegangen wäre, hätte ihm nicht der Mörder seines Vaters auf die Sprünge geholfen, der gute alte Krieg.
    Dass er höher hinauswollte, hatte Friedrich schon angedeutet, als er sich im März 1939 erfolglos beim Ahnenerbe der SS bewarb. Zwei Gründe gibt er für diese Bewerbung an, kulturelles

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