Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
Interesse und den Wunsch, endlich hauptamtlich in der SS zu arbeiten. Die sogenannte Forschungs- und Lehrgemeinschaft, die sich der sogenannten Geistesurgeschichte der sogenannten arischen Rasse verschrieben hatte, wäre ein ideales Betätigungsfeld für die Sonntagsleseratte, den halbgebildeten Historikergroßneffen, Historikersohn und Historikergroßvater Friedrich Leo gewesen. Aber es hat nicht sein sollen, weder im Großen noch im Kleinen, und so muss er sich gefallen lassen, dass Geschichte nicht von ihm, sondern über ihn geschrieben wird. Einstweilen aber verlegte sichFriedrich darauf, Geschichte zu machen. Oder wie auch immer man es nennen wollte, als plötzlich kein Stein mehr auf dem anderen stand.
Zunächst wird Friedrich ab August 1939 für ein gutes Jahr ein ganz normaler deutscher Mann. Vergleichsweise sympathisch, wie er da zusammen mit anderen Wehrmachtsrekruten die Grundausbildung absolviert, im Frost Wache schiebt und dann sehr sportlich Frankreich überfällt. Aber im Oktober 1940, die Generalität hängt längst mit Gott in Paris ab, hat man in Berlin genug von dieser Humankapitalverschwendung. Bis auf weiteres uk-gestellt und sofort zu entlassen sei der Reserveoffiziersanwärter mit der SS-Nummer 278243. Unabkömmlich? Seine Brüder Martin und Heinz, Synthesechemiker der eine, Schiffbauingenieur der andere: selbstverständlich. Aber was kann denn dieser Schulabbrecher, dass er mitten im größten Krieg, den je ein deutsches Heer ausgefochten hat, das Gewehr fallen lassen soll? Bäume pflanzen? Fackeln halten? Volkslieder singen? Es sagt viel über Natur und Zweck dieses Krieges, dass er wirklich dringend gebraucht wurde.
Am 12. Dezember 1940 tritt er seinen neuen Dienst in Metz an. Doch was hat Friedrich, nachdem Frankreich besiegt ist, noch in Lothringen zu suchen?
Der überraschend günstige Kriegsverlauf hatte Ende 1939 die Frage aufgeworfen, wie sich von einem Tag auf den anderen aus all dem Volkstumsgerede völkische Großraumpolitik machen lasse. Der Plan war einfach und schon vor Kriegsbeginn vielfach zu Papier gebracht worden: Deutsche reinholen und fördern, alle anderen entweder ausbeuten oder rauswerfen und sich selbst überlassen. In praktischer Hinsicht erforderte das aber eine immense Logistik. Zum Beispielbrauchte man, um die Organisationsmaschine überhaupt anwerfen zu können, Fachleute, die in einer Masse aus nackten Menschen Deutsche von Nichtdeutschen unterscheiden konnten. Die SS, deren Reichsführer für dieses gigantische Unternehmen verantwortlich war, verfügte in ihrem Rasseamt über solches Personal.
Der Ursprung dieses Expertentums war nun freilich ganz unkriegerischer, fast möchte man sagen: romantischer Natur. Am 31. Dezember 1931 hatte Heinrich Himmler seinen Leuten den sogenannten Heiratsbefehl erteilt. Dieser besagte nicht, wie man vielleicht meinen könnte, dass der noch ledige SS-Mann sich unverzüglich ein Weib zu suchen habe, sondern nur, dass seine Heiratsabsicht von nun an genehmigungspflichtig war. Einerseits segelten die Nazis auch hier nur mit dem Wind. Wenn Himmler von den Bräuten seiner Leute ein Erbgesundheitszeugnis verlangte, dann machte er mit der Eugenik in seinem Geltungsbereich nur so ernst, wie es in Skandinavien oder den USA längst üblich war. Andererseits hieß Eugenik auf Deutsch nicht umsonst »Rassenhygiene« – ein schillernder Ausdruck, der eben nicht nur auf die Gesundheit einer Bevölkerung zielte, sondern auch auf das sogenannte Wesen eines Volkes.
Die SS war, wie es in § 1 des Befehls heißt, ein nach besonderen Gesichtspunkten ausgewählter Verband Nordisch-bestimmter Männer , deren Daseinszweck, so § 3, die erbgesundheitlich wertvolle Sippe deutscher Nordisch-bestimmter Art sei. Also nicht nur ohne Mangel sollte diese Gruppe sein, sondern auch von »nordischer« Art. Eine Zuchtgemeinschaft, in die nur gesunde Lurche, Erdkröten, Breitmaulfrösche und unter gewissen Bedingungen auch Stechmücken aufgenommen werden konnten, auf keinen Fall aber Waschbären oder Krokodile, undWanzen schon gleich gar nicht, seien sie auch noch so unausrottbar robust. Da Himmler gemäß § 7 seines Befehls das Rasseamt der SS mit der sachgemäßen Bearbeitung der Heiratsgesuche betraut hatte, bildete sich dort erstmals in der deutschen Geschichte ein kleiner Stab von Experten zur Herstellung von Deutschen heraus. Denn in praktischer Hinsicht bekundete die Rede von »Rasse« ja nichts als den Willen, immer mehr deutsche Staatsbürger dem
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