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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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denn da alles die Matura erschlichen? Judenmädels, die einen auf dicke Bertha machen. Ostvolk, das dann auf unsere Kosten Wehrtechnik studiert. Aber bei Ihnen ist es umgekehrt, verstehen Sie? Sie brauchen den Lappen gar nicht, weil Sie das Abitur im Blut haben. Verstehen Sie mich, Leo? Das Abitur im Blut! Und jetzt schreib’ ich das da hin. Sonst hab’ ich nämlich nix mehr von Ihnen.«
    Diese vermutlich so oder ähnlich geäußerte Ansicht hattenach Auffassung von Standartenführer Prof. Dr. Schultz ganz und gar nichts mit Begünstigung zu tun. Sein kreativer Umgang mit den Fakten rückte lediglich gerade, was die Prinzipien einer völlig verjudeten Menschenauslese aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Höchste Zeit, dem neuesten Stand der Forschung im eigenen Hause Geltung zu verschaffen! Wo bitte, wenn nicht hier? Und wer, wenn nicht er, sollte damit beginnen? Schließlich war der Forschungsstand ja nicht zuletzt auf seinem Mist gewachsen. Überdies hat sich die rassische Auslese – so hatte er in einer Richtlinie für Rasseprüfer geschrieben – grundsätzlich nicht auf eine Einzelperson, sondern auf ganze Sippen zu beziehen, wobei auch wieder die Lebensbewährung der Sippe von größter Wichtigkeit ist. Und bitte: Gelehrte, Staatsbeamte, Pastoren, Schiffbauer, Fabrikanten, Apotheker – hatte sich die Sippe dieses jungen Mannes nicht auf das Lebenswürdigste bewährt? Also her mit dem Abitur und ab nach Berlin mit ihm.
    1942 ist für Schultz ein großes Jahr, und genau deshalb wird es für Friedrich sogar das größte überhaupt. Im Sommer wird eigens für den Professor, der von Reche, Mollison und Lenz in der Sahneschicht deutscher Rasseforschung ausgebildet wurde, an der Universität Prag ein Lehrstuhl für Rassenbiologie eingerichtet. Schon im Dezember 1941 ist er zum Chef des SS-Rasseamtes in Berlin ernannt worden. Damit ist er nicht nur einer der angesehensten Rassisten Deutschlands, er ist hinter dem Gruppenführer Hofmann auch der zweite Mann im zweitmächtigsten Hauptamt der SS. Ein Fundament, auf dem sich was bewegen lässt im Dritten Reich. Zum faktisch dritten Mann in seinem Amt macht er meinen zukünftigen Großvater. Am 1. April 1942, die Kollegen in Minsk erledigen gerade ihr Tagespensum von 500 Juden, darf Friedrichsich offiziell Abteilungsleiter im Rasseamt des RuSHA-SS nennen. Es ist die erste Beförderung auf der Himmlers Name steht, wenn auch nur in Maschinenschrift. Schultz hat ihm ein Schlüsselressort anvertraut, die Ausbildung und Inspektion aller Eignungsprüfer. Wo immer in Europa ab jetzt SS-Angehörige und neuerdings auch Luftwaffenpsychologen die örtliche Bevölkerung oder SS-Bewerber professionell auf Arsch und Charakter mustern, haben sie das im Zweifelsfall vor meinem Großvater zu verantworten.
    Was er und seine Kollegen in Berlin um ein Haar zu verantworten hatten, das waren die sogenannten Sonderbehandlungsfälle.
    Dem Gesetz nach stand für osteuropäische Zwangsarbeiter auf Sex mit deutschen Frauen der Tod. In der Praxis war man da etwas beweglicher. Warum Leute voreilig erschießen, von denen Volk und Vaterland noch was haben könnten? Hübsche Kinder zum Beispiel. Also erstmal prüfen, ob der Lüstling nicht als Deutscher durchgehen könnte. Sicheres Auftreten, blaue Augen? Ja, Bolek, das war dann wohl ein echter Glücksfick – willkommen, Volksgenosse! Verschlagener Blick, hohe Wangenknochen? Tja, Iwan, etwas mehr Selbstkontrolle und in sechzig Jahren hättest du von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« vielleicht 1000 Euro bekommen. Es waren diese unmittelbar tödlichen Nichteindeutschungsfähigkeitsbescheide, die Friedrich näher als je an Taten brachten, die man getrost als Mord bezeichnen darf. Das sahen auch die Staatsanwälte so, die von den Bundesländern 1956 in die Zentrale Stelle nach Ludwigsburg abgestellt worden waren, um die im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen systematisch zu verfolgen. 1966 wurden gegen die Mordverdächtigen Leo, Harders, Klingerund Schultz Vorermittlungen eingeleitet. Sie hatten Glück, dass sie auf faire Bedingungen trafen. Alle wussten, wie die Sache gelaufen war. Es fehlte nur an belastbaren Beweisen.
    Aber zurück in die schöne Zeit.
    Leo und Schultz – das passte einfach. Noch in der Bundesrepublik schreibt und trifft man sich regelmäßig, und angeblich war es nur weiblichem Starrsinn geschuldet, dass W36 – oder war es W38? – nicht Schultzens Schwiegertochter wurde. Großmutter jedenfalls hatte es

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