Flut
gänzlich verstummt. Zum ersten Mal schläft sie ohne das lange Ritual aus unwillkürlichen Fußtritten undGebrabbel neben ihm ein. Und obwohl er weiß, dass sie vollkommen ausgelaugt ist, glaubt er, dass es an etwas anderem liegt.
Am nächsten Morgen sieht er sie zum letzten Mal. Er steht früher als üblich auf und schüttelt sie sanft. Er flüstert ihr ins Ohr, er müsse nochmal nach Hause fahren, und dass sie ihn anrufen solle, wenn sie aufwacht. Sie grunzt zustimmend. Er steigt auf sein Rad und fährt zur Wohnung. Beta hat ins Badezimmer gepinkelt. Er gibt ihr Wasser und Futter, geht mit ihr am Strand spazieren und lässt sie alleine ins Meer. Sie schwimmt mit aller Kraft und kommt erstaunlich gut voran. Mutig stellt sie sich dem Sog der Wellen und lässt sich von den Schaumkronen überspülen, schüttelt den Kopf und pustet das Wasser aus der Nase. Nach ein paar Minuten kommt sie wieder raus und trottet humpelnd auf ihn zu. Nachdem Jasmim um elf immer noch nicht angerufen hat, versucht er es, aber sie geht nicht ran. Er nimmt an, dass sie das Handy leise gestellt hat, versucht es aber weiter alle zehn Minuten, bis es heißt, der Teilnehmer sei nicht erreichbar. Erst jetzt fällt ihm auf, dass er zu spät zur Arbeit kommt. Den ganzen Nachmittag über versucht er, sie zu erreichen, und ruft schließlich sogar Bonobo an, um ihn zu bitten, nach ihr zu sehen, aber der ist in Florianópolis, um seinen Pass zu verlängern. Um fünf Uhr steigt er aufs Fahrrad und fährt nach Ferrugem. Das Haus ist verschlossen und das Motorrad verschwunden. Auch per Telefon ist sie nach wie vor nicht zu erreichen.
An den folgenden Tagen fährt er mehrmals bei ihr vorbei, aber es fehlt jede Spur von ihr. Die Nachbarn haben sie weder wegfahren noch kommen sehen. Am dritten Tag sitzt eine Neue im Büro von Caminho do Sol und erklärt, niemand dort habe eine Ahnung, was mit Jasmim los sei, sie sei seit Dienstag nicht zur Arbeit gekommen und habe auch keine Nachricht hinterlassen, was deswegen merkwürdig sei, weil sie noch das Gehalt für die vorige Woche bekäme. Am vierten Tag gibt er bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf. DiePolizisten erklären, dass sie erste Nachforschungen anstellen und, sollte sie innerhalb einer Woche nicht auftauchen, eine Suchaktion starten würden. Er weiß ihren vollständigen Namen nicht, gibt aber den ihres Vaters an, der Abgeordneter in Porto Alegre ist, und erklärt, dass sie im Rahmen ihres Studiums mit dem CAPES und mehreren Ärzten in der Gegend zu tun gehabt habe. Außerdem gibt er an, dass in letzter Zeit ein älterer Mann namens Senhor Joaquim um die Hütte geschlichen sei, beschließt allerdings, ihnen vorerst nichts von Legenden und vergrabenen Schätzen zu erzählen.
Am fünften Tag gelingt es Bonobo und ihm, einen der Fensterläden aufzubrechen. Es scheint alles in Ordnung und am selben Ort zu sein wie am Montagmorgen, als er aus dem Haus ging und sie allein weiterschlafen ließ, außer dass die Pappschachtel mit dem Kelch und dem Kerzenhalter aus dem Schrank unter der Spüle verschwunden ist. Als er am sechsten Tag wiederkommt, machen sich Senhor Joaquim und sein Enkel oder Urenkel gerade hinter dem Haus zu schaffen. Er fragt, ob sie wüssten, wo sie sei. Der Alte sagt, er hätte gedacht, dass er das wüsste, und zeigt auf das Fenster.
Das wurde aufgebrochen.
Das war ich. Ihr verschwindet jetzt von diesem Grundstück und lasst euch nie wieder hier blicken. Wenn ich einen von euch nochmal hier erwische, gibt es richtig Ärger.
Ihr habt ihn gefunden, oder?
Raus hier.
Er packt Senhor Joaquim am Arm und zerrt ihn in Richtung Tor. Der Junge dreht seine Baseballkappe nach hinten und starrt ihn an, als wollte er einen Fluch bekräftigen, bevor er dem Alten folgt und in Richtung Straße verschwindet.
Am siebten Tag schreibt Jasmim per SMS, sie sei in Porto Alegre und brauche Zeit zum Nachdenken und dass sie ihn gleich nach ihrer Rückkehr anrufen werde, was wohl in den nächsten Tagen der Fall sei. Er fragt zurück, ob er sie anrufen könne, aber sie antwortet nicht. Er versucht es trotzdem, aber sie nimmt nicht ab. Fünfmal hintereinander ruft er an, bis sie das Handy ausstellt. Er geht zur Polizei und zieht die Vermisstenanzeige zurück. Die junge Frau sei bei den Eltern in Porto Alegre. Der Polizist sagt, das sei immer so, er habe nichts anderes erwartet.
Sie ruft erst Mitte August an. Zwei Tage zuvor war sie mit einem Cousin in Ferrugem, hat ihre Sachen in einen Umzugswagen
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