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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Wald sie ohne einen Laut verschluckte. Danach fuhr sie weiter hoch ins Gebirge, im Glauben, den Fluch vielleicht los zu sein, und als sie ganz oben war, spielten all diese Legenden keine Rolle mehr und ihr wurde klar, dass ihre Angst ganz andere Gründe hatte und dieser angebliche Fluch nur eine Ausrede gewesen war. Sie sah alles von ganz oben und von weit weg und war auf einmal frei. An den Wänden der Schlucht formten sich wunderbare weiße Wolken, die sich vor ihren Augen zusammenballten und wieder auflösten und drohten, alles zu verschlucken. Sie startete das Motorrad und fuhr über Schotterstraßen vorbei an Hügeln und wässrig grünen Feldern, die vom Frost leicht verbrannt wirkten. Mit klappernden Knochen erreichte sie São José dos Ausentes und danach Bom Jesus, wo sie sich für fünfundzwanzig Reais ein Hotelzimmer nahm und völlig erschöpft und glücklich auf die Steppdecken aus Schafswolle fiel. Am nächsten Tag fuhr sie über asphaltierte Straßen hinunter nach Porto Alegre, eine wunderschöne, fünfstündige Fahrt, die direkt vor dem Haus ihrer Eltern endete, wo sie nach tagelangem Nachdenken und Beratschlagen beschloss, mit Garopaba und allem, was dazugehörte, abzuschließen, weil sie inzwischen ein anderer Mensch geworden war undweil es nicht mehr ging, weil es keinen Sinn mehr hatte. Sie hatte nicht geantwortet und ihn nicht angerufen, weil sie Angst hatte, weil sie nicht wusste, wie sie ihm erklären sollte, was mit ihr los war, und weil sie dachte, es wäre vielleicht besser so. Es ist zu traurig, darüber zu sprechen, zu versuchen, sich zu erklären, sich auszudrücken. Sobald man die Dinge ausspricht, sind sie vorbei. Ob er das verstehen könne? Ob er ihr verzeihen könne? Ob vielleicht sogar alles in Ordnung sei?
    Er sagt, er verzeihe ihr nicht, verstehe sie aber, und ja, es sei alles in Ordnung, und sie wisse ja, wo sie ihn finde, und dass er ihr viel Glück wünsche. Er sieht keinen Sinn darin, ihr zu erzählen, wie sehr er die letzten zehn Tage gelitten hat, dass er geglaubt hat, nie wieder Freude empfinden zu können, dass er bis zur Bewusstlosigkeit getrunken hat und gelaufen und geschwommen ist, bis er Krämpfe bekam, dass aber danach alles wieder normal war und er sie in Wirklichkeit gar nicht mehr so sehr vermisse, dass er ihr Gesicht schon fünfzehn Minuten, nachdem er sie an jenem letzten gemeinsamen Morgen schlafend zurückgelassen hatte, vergessen hatte und sich nie wieder daran erinnern würde, es sei denn, sie würde ihm ein Foto schicken, worüber er sich im Übrigen freuen würde, und dass er sie, ehrlich gesagt, auch in einem anderen Sinne vergessen habe, in dem Sinne, dank dem er jetzt leide, aber schließlich erzählt er es doch, und sie zögert und sagt dann, Siehst du? Du hast mich gar nicht so sehr geliebt.
    *
    Dona Cecina scheint über seinen Besuch nicht sonderlich überrascht und bittet ihn herein, ohne Fragen zu stellen. Sie tauschen die üblichen Höflichkeiten aus. Im Wohnzimmer laufen im Fernsehen die Mittagsnachrichten, neben dem Sofa sitzt ein alter Mann, mit Wollmütze und Decken vor der Kälte geschützt, in einem Rollstuhl und beobachtet ihn. Ausder Küche im Stockwerk darunter steigt der Geruch von gebratenem Fisch auf.
    Meinen Mann kennst du noch nicht, oder?
    Nein. Wie heißt er?
    Quem.
    Wie heißt er?
    Quem. Jedenfalls wird er so genannt. Eigentlich heißt er Quirino.
    Guten Abend, Senhor Quirino, sagt er und nickt dem Mann zu.
    Der Alte atmet schwer.
    Setz dich, mein Junge. Möchtest du einen Kaffee?
    Nein, Dona Cecina, vielen Dank. Ich will nicht lange stören, ich wollte Sie nur etwas fragen. Sie erinnern sich doch, dass meine Mutter vor ein paar Wochen hier war und Sie vor der Wohnung mit ihr gesprochen haben?
    Ja. Sehr nett, deine Mutter.
    Sie mochte Sie auch sehr.
    Und wie geht es deiner Freundin?
    Sie ist weg. Zurück nach Porto Alegre.
    Für immer?
    Ich glaube schon.
    Und du willst nicht hinterher?
    Nein.
    So was.
    Dona Cecina, heute Morgen war ich mit meiner Hündin unten bei den Felsen schwimmen, und …
    Wie geht es ihr?
    Sehr gut. Sie ist noch etwas wacklig auf den Beinen, aber immerhin rennt sie schon richtig mit raushängender Zunge, und sie kommt überall mit hin.
    Sie schwimmt wie ein Fisch.
    Das stimmt. Aber als ich heute Morgen mit ihr schwimmen war und zur Wohnung rübersah, fiel mir wieder ein, wie Sie sich mit meiner Mutter unterhalten haben. Irgendetwaswar mir im Kopf hängengeblieben, ich wusste erst nicht was, und dann fiel es mir

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