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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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der Jungs sagen.
    Er lacht in sich hinein, sieht nach, ob die Hündin ihm folgt, und tritt kräftig in die Pfützen. Rechts von ihm liegt Garopaba gespenstisch in der Ferne. Er wendet sich nach links, läuft am Strand lang bis zu einem Hügel und dort auf einem Pfad weiter zur Felsküste. Die Wellen klatschen spritzend gegen die Klippen. Der Regen ist nur noch ein Nieseln. Er versucht, einen Weg zu finden, den die Hündin laufen kann, aber es wird immer schwieriger. Der Weg der Steine, der Weg der Steine, murmelt er und setzt lange Zeit mit gesenktem Blick nur noch einen Fuß vor den anderen.
    Als er sich irgendwann endlich umsieht, bemerkt er, dass es dunkel wird. Er steht auf einer Felsküste am Ende der Welt und ist schon zu weit gelaufen, um noch umzukehren. Er tritt auf einen losen Stein und schlägt mit dem Ellbogen auf. Wie ein elektrischer Schlag fährt ihm der Schmerz hoch bis in die Schulter. Er testet das Gelenk und betastet den Arm. Ein bisschen Blut, ein leichtes Pulsieren, nichts Ernstes. Er hebt die Hündin auf die Felsen und klettert hinterher. So geht es weiter, bis er die Vegetationsgrenze erreicht. Er versucht,den Hang hochzukommen, aber die Büsche sind zu dicht und zu stachelig. Kurz bevor es ganz dunkel ist, entdeckt er zwischen zwei großen Felsen eine kleine trockene Höhle. Er legt den Rucksack ab, bringt die Hündin unter und setzt sich in den Eingang, wie ein Götzenbild, das absichtlich an einem möglichst absurden Ort aufgestellt wurde, um nicht gesehen zu werden. Das Meer vor ihm ist eine einzige dunkle Masse, noch dunkler als die Nacht, ein Monstrum, unsichtbar und gleichzeitig offensichtlich. Er weiß, dass er sich oberhalb der Flutlinie befindet, aber er hat trotzdem Angst, dieselbe irrationale Angst, die ihn überfällt, wenn er allein weit draußen im Meer schwimmt. Andererseits, wo wäre er sicherer als hier? Nichts kann ihn an diesem Ort treffen. In einigen Stunden wird es wie immer dämmern, und er kann aufbrechen. Bis dahin wird es keine Überraschungen geben. Nichts kann passieren. Nicht hier.
    Er streichelt Beta, ihr Fell ist trotz allem warm. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, erkennt er mit überwältigender Deutlichkeit, was er schon lange erkennen wollte. Vor Freude fängt er an zu weinen. Er wünschte, Jasmim wäre da, und Viviane, sein Vater, seine Mutter, sogar Dante, selbst die Menschen, die er gern hassen würde, aber nicht hassen kann, er wünschte, sie alle wären jetzt da. Irgendwann hat ihm sein Vater das mal gesagt. Du kannst nicht hassen, Junge. Das kann nicht gut sein. Aber es ist so, Papa, antwortet er in die Dunkelheit. Es ist so. Während er jetzt daran denkt, wird ihm immer leichter, bis er schließlich im Sitzen, an den Fels gelehnt, einschläft.
    Er braucht den gesamten nächsten Vormittag, um den Rest der Felsküste abzulaufen und eine Schlucht zu umrunden. Der Pfad führt durch Dickicht. Gras und Büsche wachsen auf dem Weg, er läuft beinahe bis zur Brust in dunkelgrünem Blattwerk, die Hündin im Schlepptau. Seine Beine gewöhnen sich langsam an den weichen Lehm, der inzwischen die rutschigen, harten Steine abgelöst hat. Ab und zu stammelt erein paar Worte. Hinter einem Gipfel öffnet sich der Pfad zu einer Ortschaft, an der sich ein breiter Strand erstreckt. Als er die ersten Häuschen erreicht, beobachten ihn die Bewohner des Ortes aus Fenstern und offenen Türen.
    An der Strandstraße steht ein Bus, aus dem Menschen mit Taschen voller Früchte und Gemüse kommen. Er steigt hinten ein. Anstelle von Sitzbänken stehen überall Kartons und Kästen mit Marktprodukten, dazwischen unterhalten sich mehrere Frauen, während sie an einer Ananas riechen, Mangos drücken und Kopfsalate inspizieren. Er blickt sich um, die Fülle von Farben und süßlichen Aromen betäubt ihn. Hinten steigen weiter Leute ein und drängen ihn durch den Gang nach vorn. Hier drinnen fällt ihm zum ersten Mal sein pfeifender Atem auf, und er stellt fest, dass er leichtes Fieber hat. Er nimmt eine Hand voll reife Bananen, eine Birne und zwei Orangen. Die Frau hinter ihm wirft eine Kiste Rote Beete um, und er hilft ihr, sie aufzuheben. Der dicke weißhaarige Mann auf dem Fahrersitz wiegt die Ware und nimmt das Geld entgegen. Er stellt sein Obst in die kistenförmige Waagschale und wühlt in der Außentasche seines nassen Rucksacks, bis er die beiden letzten Ein-Real-Münzen findet.
    Reicht das?
    Kriegst noch was wieder.
    Stimmt so.
    In der kleinen Strandbar hockt nur eine Katze, die

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