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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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angeboten, die Überreste zu bewachen, sollten noch Wegelagerer in der Nähe sein. Rungholt bezweifelte, dass dieser klapprige Haufen Bauern etwas gegen diejenigen ausrichten konnte, die seinen Konvoi geplündert hatten. Die verlausten Bauern hofften auf Brot als Bezahlung. Oder einen schnellen Tod. Allemal besser, als zu verhungern.
    »Was ist hier passiert?« In der frühen Morgenluft klang Contz’ Stimme noch fiepsiger als gewöhnlich. Der Knecht band die Pferde an einer verkohlten Strebe fest.
    »Wenn ich das wüsste.« Rungholt wischte sich das Wasser vom Haar. Sein Magen knurrte. Er konnte keine verkohlten Fässer entdecken, keine Überreste der Stoffballen. Es waren überhaupt keine Waren mehr da. Seine Männer waren ausgeplündert worden, dann hatten die Diebe wohl das Feuer gelegt. Der Rauch trieb Tränen in Rungholts Augen. Natürlich der Rauch. Mit seiner vernarbten Hand rieb er sie weg und trat lieber ein paar Schritte zurück.
    Seufzend ließ er noch einmal seinen Blick über die Wagen gleiten – der Platz war hervorragend für einen Hinterhalt geeignet. Die Stelle am Waldrand bot auf Meilen die einzige Möglichkeit zum Furten. Abgefangen, aufgebracht – keine zwei Meilen vor den sicheren Mauern Lübecks.
    Gleich, was mit den Waren ist, dachte Rungholt. Wo steckt Marek? Was haben die mit meinem Kapitän gemacht?
    »MAAAAAAREEEEEEEKK!« Rungholts Ruf wehte über die Au und in den Wald. Keine Antwort.
    Einzig der Protest dutzender Krähen, die aus den Ästen emporstoben.
    Rungholt musste sich anstrengen, nicht zu weinen.
    »MAAAAAAREEEEEEEKK …«

6
    Als wäre Lübeck ein einziges Badhaus, hatte sich Schwüle in den Gassen verteilt. Die Ausdünstungen der Sickergruben, der Qualm der offenen Herdstellen und die Angst vor dem Verhungern wurden in diesen Schleier aus Wasser eingewickelt und haltbar gemacht. Ein süßlicher Gestank, der Rungholt an Gallbergs Leichenschuppen erinnerte. Er meinte, sogar die See im Nieselregen zu riechen. Ihren faulen Odem aus Fisch, Algen und toten Seelen.
    Fehlt nur noch, dachte er, dass es Fische regnet.
    Rungholt zögerte, d’ Alighieris Haus in der Pergamentmachergasse zu verlassen und ins Freie zu treten. Betrübt und mit einem unguten Gefühl im Magen war er von der Schwartau direkt zum Wittenfresser geritten und hatte ihn gebeten, den Kurier zu holen. Ihn wollte er zuerst befragen. Angesichts seiner trüben Laune und des schlechten Wetters hielt er jedoch nur seine Pranke in den Regen, anstatt de Kraih zu folgen. Im Türsturz stehend blickte er gen Himmel, und für einen Lidschlag meinte er, die Gewitterwolken bildeten Häuser, Plätze und Türme. Wie eine zweite Stadt hingen ihre Gebäude verkehrt herum über Lübeck.
    Ein dunkles Spiegelbild. Ein vergängliches Zerrbild von uns allen. Ob ich auch dort oben lebe? Kopfüber? Als Wrasengestalt? Ob Marek nun dort ist?
    Nicht zu wissen, was mit seinem Freund geschehen war, und der Verlust seiner Waren schlugen ihm stärker aufs Gemüt, als er gedacht hatte. Über drei Stunden hatte er nach Marek gesucht, schließlich den Bauern den Lohn eines ganzen Monats zugeworfen und sie in die Wälder und ins Moor geschickt. Vergebens.
    Von Marek und seinen Männern fehlte jede Spur. Was blieb ihm anderes übrig, als schweren Herzens die Suche abzubrechen und zurückzureiten? Kaum über die Holstenbrücke und wieder hinter den sicheren Stadtmauern, war es ihm vorgekommen, als rieche der Regen nach Wellen und Gischt. Widerlich. All das Wasser nahm ihm langsam die Luft zum Atmen.
    Rungholt starrte in die Wolken und überlegte, wie er Sinje die Nachricht überbringen sollte. Der Kloß im Hals ließ ihn schwer atmen. Wie sollte er der Heilerin erklären, dass ihr Geliebter kaum zwei Stunden Fußmarsch vom sicheren Lübeck entfernt aufgerieben und von Wegelagerern getötet worden war?
    Vielleicht, überlegte er, war es nicht schlecht, wenn Alheyd Sinje die Nachricht überbrachte. Von Frau zu Frau.
    Feigling. Willst es dir nur selbst leicht machen. Willst nicht vor Sinje weinen wie ein Kind …
    »Er ist da! Kommt her.« De Kraih winkte, doch Rungholt rührte sich nicht. Der Mann hatte ihm nichts, gar nichts zu befehlen. Sollte er sich doch mit diesem Schönling von einem Kurier die Beine in den Bauch stehen. Bevor Rungholt wieder in diesen Regen trat, starrte er lieber weiter Löcher in den Himmel.
    Wie konnte es sein, dass sein bester Freund einfach so gemeuchelt worden war? Die Wrasenhäuser, Wrasengassen und -kirchen über ihm wurden

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