Flutgrab
diesem Gesindel weg, diesen Halsabschneidern, verfluchte Bande. Es ist nichts. Es ist nur das Essen. Das ist alles. Wie oft soll ich’s noch sagen?«
Seufzend drehte sich Alheyd zu ihm um und musterte ihn stirnrunzelnd. Schließlich nahm sie seine Pranke in ihre kleinen Hände. »Wird dir wieder schwarz vor Augen?«
»Dünnbier.«
»Was?«
»Dünnbier. Hol mir was zu trinken, Weib.«
»Hol’s dir selbst.« Alheyd schlug ihr Kissen auf und drehte sich auf ihre Seite. »Bring den Nachttopf mit, wenn du runtergehst. Und räum deine dreckigen Kleider weg. Gestunken haben die. Wo warst du schon wieder?«
Rungholt antwortete mit einem Brummen. Durch das Giebelfenster fiel Mondlicht. Er hatte zu große Angst hinunterzugehen. Was, wenn das Wasser aus seiner Scrivekamere mittlerweile bis in die Diele gedrungen war und nun das ganze Haus …
Zaghaft setzte er sich auf und starrte ins Mondlicht. Er versuchte, eine der Krähen zu hören, die in seinem Hinterhof oft einen Heidenlärm veranstalteten. Es war noch zu früh. Außer dem erneuten Prasseln des Regens war nichts zu hören. Die Müdigkeit brannte in seinen Augen, aber er weigerte sich, sie zu schließen. Nein, er wollte nicht noch einmal in einem Gewand aus Berechnungen in die Tiefe gezogen werden.
Er schmatzte. Er starrte in die Dunkelheit. Er seufzte. Er schmatzte. Er seufzte und schmatzte, leckte sich die trockenen Lippen und starrte in die Dunkelheit.
Schließlich, mit einem Gebrabbel wie von einem kleinen Kind, schlang er die Arme um seinen schweren Leib und schaukelte vor und zurück.
Fluchend stieg Alheyd aus dem Bett, warf sich eine Decke um und schlüpfte in ihre Holzpantoffeln. »Du schaffst mich, Rungholt. Du schaffst mich.«
Sein genuscheltes »Danke« hörte sie nicht mehr, denn sie war längst auf dem Weg, ihm sein Dünnbier zu holen.
14
Dutzendmal war er die Sätze durchgegangen, hatte sie wieder und wieder vor sich her gemurmelt, während er, in St. Marien stehend, der Morgenmesse gelauscht hatte.
Alles war unpassend. Kein Wort drückte aus, was er sagen wollte.
Ein zweites Mal ließ er seine Faust gegen die Tür schlagen und horchte. Er würde das Maul bestimmt nicht aufbekommen.
Lass sie nicht da sein, lass sie irgendwo Kräuter kaufen. Und ich warte hier noch einen Moment, und dann gehe ich einfach. Dann habe ich meine Schuldigkeit getan und … Du verdammtes Kind! Du reißt dich jetzt zusammen, du Dwarsbüngel.
Ihm wurde schwindlig, als er Dauben klappern hörte und wenig später ihre Füße über den gestampften Lehmboden tapsen.
Sinje öffnete nur einen Spalt, aber es reichte, um Rungholt zu verzaubern. Ihre grünen Augen funkelten ihm entgegen, und ihr sommersprossiges, von rotem Haar gerahmtes Gesicht wirkte im Schummer des Türspalts noch verführerischer als sonst.
»Rungholt?«
»Sinje. Ich …«
»Ist was passiert?«
»Ja. Ich … muss dir was sagen. Es ist nicht ganz einfach«, druckste er herum. »Es ist wegen … Ich bin gekommen, weil …«
»Bist du mal wieder verletzt? Hast dich geprügelt?«
»Was?«
»Ob dir’s Wutfeuer mal wieder das Köpfchen verbrannt hat? Oder bist du Dickerchen über deinen Bauch gefallen?«
Er zögerte, dann wählte er den leichten Weg. »Ja. Richtig. Gestürzt«, antwortete er und schummelte sich so ein paar Schritte durchs Dickicht der Trauerarbeit vor, um noch ein paar Atemzüge Zeit zu gewinnen. »Ja, richtig, bin verletzt. Dumme Sache.«
»Na, dann steh da nicht im Regen rum wie ’n bettelndes Kind.«
Sie wies ihm den Weg in die Bretterbude. Ihr wallendes, labrotes Surkot endete über ihren schlanken Fesseln. Sie trug ein Kettchen am rechten Fuß, wie er fasziniert feststellte.
Ein beißender Geruch strömte ihm entgegen und ließ ihn um Atem ringen. Er musste einige Kräuterbündel und Tierfelle beiseitedrücken, die von den Deckenbalken hingen. Auf einem Regal standen einige der Buddelschiffe, die Marek so gern gebastelt hatte. Winzige Koggen und Prahme in gläsernen Krügen. Filigrane Gebilde aus Wollfäden, Leim und Holzsplittern. Weibischer Zeitvertreib. Rungholt schossen sofort die Tränen in die Augen. Er schluckte sie herunter.
Über einem Ofen hing ein Grapen an einem kunstvoll geschmiedeten Halter. Ein Kaninchenschädel, bereits blankgekocht, schwamm in einer dickflüssigen Suppe, die Rungholt lieber nicht versuchen wollte. Ihr Gestank war schneidend.
»Ah. Kadaversud mit Kotbrocken«, frotzelte er.
»Lecker«, entgegnete sie trocken. »Mein Leibgericht. Ich wollt
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