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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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gegangen war. Aber nun gab es kein Zurück mehr.
    »Ihr kennt meine Sünden«, fügte er an. »Was sollte mich also davon abhalten? Ein Entleibter mehr oder weniger …«
    »In Aqua scribis. Ihr schreibt auf Wasser, Rungholt. Ehe ich Eure Klinge spüre, hängt Ihr am Köpfelberg. Weil ich Euch da hinbringen werde. Vor die Stadt.«
    »Richtig. Wenn Ihr mich aus Lübeck haben wollt, Kerkring, müsst Ihr mich umbringen. Seid Ihr dazu imstande? Einen Menschen töten ist das eine, mit der Sünde leben etwas anderes. Seid Ihr dem gewachsen? Ich bin es. Ich werde nicht zögern, Kerkring.«
    Der Rychtevoghede schwieg. Seine Pausbacken spannten sich, so stark biss er die Zähne aufeinander. Rungholt musste innerlich lächeln. Bei diesem machtgierigen Popanz war offenbar Angriff die einzige Lösung. Einschüchtern und kleinhalten. Er hätte diesem Mann schon viel früher eine Klinge an den Hals setzen sollen. Froh darüber, endlich ausgesprochen zu haben, was er seit Jahren dachte, nahm er Kerkring bei der Schulter. »Nichts für ungut. Ihr jagt den Kindern nach und ich meinen Geschäften. Belassen wir es dabei.«
    Er ließ Kerkring los. Einen Lidschlag lang stand der Rychtevoghede reglos da, dann zupfte er die Ärmel seiner Schecke zurecht und strich seine Schulter mit dem Taschentuch ab, als müsste er Rungholts dreckigen Handabdruck wegwischen. Rungholt dachte, er werde gehen, aber zu seiner Überraschung beugte sich nun Kerkring vertraulich vor: »Seit wann habt Ihr, Rungholt, jemals etwas dabei belassen ? … Im Gegensatz zu Euch muss ich die Klinge niemals selbst führen. Das ist wahre Macht.«
    Bevor Rungholt etwas erwidern konnte, hatte Kerkring sich bereits umgedreht und ging mit nackten Füßen durch den Regen davon. Rungholt sah dem Rychtevoghede nach.
    Einen Menschen umzubringen … Seid Ihr dazu imstande?
    Sein Blick fiel abermals auf die weißen Blüten, die zusammengeschwemmt und verklumpt im wasserglänzenden Matsch lagen.
    Dreckiges Eis im schwarzen See.
    Der Klumpen in seinem Hals ließ nicht lange auf sich warten.
    Hinter der Scheune hatte er sie hinabgedrückt, unter das Eis gedrückt. Irena.
    Eine Erinnerung, die viel zu langsam verblasste. Eine Erinnerung, die wie ein Fels in der Zeit stand und von den Tagen und Nächten nicht gemildert, sondern lediglich schroffer wurde. Schärfer und rauer mit den Jahren.
    Der Schnee trägt mich in die Hölle.
    Er sah den weißen Blüten zu, die im Regen zitterten, und meinte, das Krachen des Eises zu hören. Jenes Eis auf dem See, jener See hinter der Scheune, jene Scheune am Waldrand, jener Waldrand an der Orge. Irena.
    Diese Erinnerungen kannte er, genau wie das beklemmende Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Doch hier, in diesem Hinterhof in der Effengrube, hier vor dem Holunderbusch, schob sich mit einem Mal Marek vor die Erinnerungen an Irenas Tod.
    Die Gesichter der Toten wechseln sich ab, dachte Rungholt bitter. Nun also Marek.
    Marek, der noch vor zwei Jahren auf den Bleichwiesen mit Rungholt den Schwertkampf geübt hatte. Marek, der Rungholt in München besucht und ihm geholfen hatte, eine vermisste Goldschmiedin zu finden. Marek, der ihm über die Jahre ein guter Freund geworden war.
    So schnell er konnte, wandte Rungholt den Blick vom Blütenschnee ab. Durch den Regen hörte er Kerkring mit Dartzow streiten.

13
    Die blakende Kerze in der Hand, ging Rungholt durch die Diele – seine wuchtigen Füße patschten über die angenehm kühlen Gotlandfliesen – an der Feuerstelle vorbei, die verwaist im Mondlicht lag. Das Feuer war ungeschürt, seit Tagen ausgegangen. Beim Anblick der umgekippten Grapen und Henkeltöpfe rieb er sich unwillkürlich den Wanst. Etwas aber war eigenartig. Er brauchte einen Moment, bis er es herausfand.
    Es war still. Und der Regen hatte aufgehört.
    Rungholt beschrieb einen Kreis mit der Kerze in seiner Hand und scheuchte ein paar Spinnen in den leeren Dreibeinen auf. Ansonsten war niemand hier. Sein Weib Alheyd schlummerte im gemeinsamen Schlafgemach, Hilde in ihrer Kammer, Contz war in den Schweinestall verbannt. Kein schlechtes Lager, denn die Tiere waren vor Wochen geschlachtet worden.
    Unfroh sah er sich in der Diele um und musterte die Zimmerdecke. Feine Adern hatten sich dunkel abgesetzt. Sie sahen aus wie Risse, doch es war Wasser, das zwischen die Balken und Bretter gelaufen war. Kerzenwachs tropfte auf seine rechte Hand, lief über die Brandnarbe und kühlte sie angenehm. Seufzend wendete er sich ab und schlich zu seiner

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