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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Kannengießerei gefolgt. Die letzten Ziegel auf dem Dachstuhl der Gießerei boten unzureichend Schutz, und der knorrige Holunderbusch vermochte den Regen auch nicht abzuhalten. Immer wieder wehte der Wind eine Wasserwand durch die Blüten herüber. Wie Schnee lagen viele von ihnen im Schlamm. Die Regenfälle hatten dunklen Modder angeschwemmt und über die morschen Holzbohlen verteilt.
    »Hütet Eure Zunge, Rungholt. Vincula da linguae, vel tibi vincla dabit.«
    Rungholt verstand kein Wort und wusste dennoch, was Kerkring meinte.
    »Meine Zunge gehört mir«, murrte er. »Ihr müsst sie mir schon rausschneiden, damit ich meine Stimme nicht mehr gegen Euch erhebe.« Sein Blick glitt über Kerkrings Schecke. Herausgeputzt wie ein Pfau. Wie immer. Und wie immer die kostbare Schecke besudelt. Sogar in Hungerszeiten, dachte Rungholt, kann jeder deinen Speiseplan der letzten Tage lesen. Muskopp, verfluchter. Blasse Grütze, ein Klecks Ei auf dem Wanst und am Kragen? Zu viel Rotspon letzten Abend?
    »Ich habe keinen Grund, mich von Euch provozieren zu lassen. Eure Prügelgeschichten könnt Ihr in Novgorod zum Besten geben, da, wo Ihr hingehört. Dort mögt Ihr mit Eurer ungehobelten Art beeindrucken, aber in Lübeck, Rungholt, hier seid Ihr so klein. So klein.« Kalt lächelnd deutete Kerkring es mit Daumen und Zeigefinger an.
    »Droht Ihr mir etwa, Kerkring?«
    »Gewiss. Ich habe Eure Sünden. Und solange ich dieses Buch besitze, werdet Ihr mir aus der Hand fressen. Ihr fresst aus meiner Hand und kommt mir nicht in die Quere.« Seine Miene strotzte vor hämischem Triumph.
    Rungholt lächelte milde, versuchte es zumindest.
    »Haben wir uns verstanden, Rungholt?«
    Er spürte, wie der Zorn in ihm wuchs, doch er zwang sich weiter ein Lächeln auf die Lippen und blickte dem jungen Mann geradewegs in die Augen. Die letzten Jahre hatte Kerkring ein Auf und Ab erlebt wie wenige Ratsmänner zuvor. Einst aussichtsreicher Kandidat für den Bürgermeisterstuhl, war er abgerutscht und im schnöden Katasteramt gelandet. Seit gut einem Jahr kämpfte er sich Schritt für Schritt wieder aus dem Dunkel hervor, strebte ans Licht und weiter zur Sonne. Ein verbissener Kampf, den der jüngste Richter Lübecks führte, seitdem sein Vater ihn in den Rat gehievt hatte.
    Rungholt antwortete nicht, stattdessen focht er lächelnd gegen das Feuer seiner Wut an. Was er in Kerkrings Augen sah, gefiel ihm nicht. Es kam ihm vor, als habe der Rychtevoghede das letzte bisschen Menschlichkeit in jener Sickergrube verloren, die ihm den neuerlichen Aufstieg erst ermöglicht hatte. Jener Sickergrube, in der sie letztes Jahr die Dirne fanden, die Kerkring letztlich wieder auf den Richterstuhl gebracht hatte.
    Gewiss, Rungholt hatte Kerkring noch nie leiden mögen, doch die Wandlung, die der junge Amtsmann in den letzten drei Jahren durchgemacht hatte, bereitete ihm Unbehagen. Dieser mustöpfige Tollpatsch von einem verzogenen Bengel fiel oft und stand ebenso oft wieder auf – jedes Mal entschlossener. Seinen Willen zur Macht garnierte er mehr und mehr mit dem bösen Gewürz der Hinterhältigkeit. Rungholt konnte sein Bauchgrimmen nicht begründen, aber bisher hatte sich sein Gefühl nur selten geirrt.
    Würdest du mir ein Geschäft vorschlagen, sei es noch so erfolgversprechend, ich würde ablehnen, Kerkring, dachte er.
    Rungholt verharrte stoisch und starrte seinen Gegner weiter unverwandt an. Etwas war mit Kerkring letzten Frühling geschehen. Er brauchte einen Moment, um dafür das Wort in dessen Augen zu finden.
    Verroht.
    Kerkring war auf gespenstische Weise verroht.
    »Starrt mich nicht so an, Rungholt. Haben wir uns verstanden? Ich habe Euer Sündenbuch, und ich werde nicht zögern, es Dartzow zu zeigen. Ich werde es dem ganzen Rat vorlegen, wenn Ihr mir in die Quere kommt. Das wird Euren Geschäften sicherlich nicht zum Vorteil gereichen.«
    Meine Geschäfte! Beinahe hätte Rungholt gelacht. Dieser dummdreiste Jungspund! Jetzt hatte Rungholt keine Lust mehr, sich zurückzuhalten.
    »Das letzte Mal ist leider Euer fetter Arsch in einem Fenster steckengeblieben, Kerkring. Nächstens wird das Fenster groß genug sein für einen tiefen Fall.« Behände ließ er seinen Kopf vorschnellen und kam mit seinen Lippen ganz nah an Kerkrings Ohr: »Ich werde Euch umbringen, Kerkring. Ich werde Euch den Leib aufschneiden, wenn Ihr das Buch jemandem zeigt.«
    Ihre Bäuche stießen aneinander. Keiner der beiden wich einen Fingerbreit. Rungholt ahnte, dass er zu weit

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