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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Schreibkammer.
    Die Butze lag verlassen da. Das Mondlicht vermochte nicht durch die winzigen Fenster einzusickern. In der Nussbaumtäfelung spiegelte sich der Kerzenschein auf merkwürdige Weise. Neugierig trat Rungholt ein und meinte, einen Hauch von Wasser auf dem Holzpaneel zu erkennen, so als habe sich Tau darauf niedergeschlagen. Er berührte einen der Tropfen und leckte seinen Finger ab. Es war Salzwasser.
    In Vorfreude auf einen nächtlichen Trunk schob er sich an Stapeln aus Schuldbüchern vorbei, drückte einen Berg aus Pergamentrollen beiseite, auf denen er seine laufenden Kosten auszurechnen versucht hatte, und schlurfte an seinem Schreibpult entlang. Dann widmete er sich seinem Geheimfach. Seine Finger fanden die unsichtbare Erhebung. Den Genever in Gedanken bereits auf der Zunge, schob er die Paneele auf und … statt mit Krügen, war das Fach bis oben hin mit Holunderblüten gefüllt. Sie rieselten wie Schnee heraus, und als sich Rungholt nach ihnen bückte, kam die Welle.
    Aus seinem Geheimfach grollte eiskaltes Wasser, traf Rungholt hart vor Brust und Bauch und riss ihn von den Beinen.
    Er knallte rittlings gegen das Schreibpult, riss es mit sich zu Boden und lag in dem Meerwasser einen Moment des Schreckens lang wie betäubt da. Er versuchte zu begreifen, was soeben geschehen war, spürte aber mit einem Mal, wie seine Schreibkammer zu rollen begann. Unter ihm schwankte der Boden, und er konnte fühlen, wie sein Zimmer über Wellenberge glitt. Unablässig schwappten weitere Wogen durch das Geheimfach und fluteten die Kammer.
    Ihm wurde schlecht. Er wollte sich aufrichten, aber der Boden schwankte zu stark. Vergeblich versuchte er, sich am umgekippten Pult festzuhalten, und wurde ein ums andere Mal zurück ins Wasser geschleudert. Seine Bücher, die Listen mit seinen Ausgaben und die Berechnungen seiner Schulden, all die beschriebenen Ziegenhäute schwammen obenauf und bildeten eine eigentümliche Gischt, die mehr und mehr um ihn brandete. Als wollten die Pergamente ihn liebkosen, legten sie sich auf seine Schultern, strichen über seinen Rücken und wickelten sich um seine Beine.
    »Weg! Geht weg!« Auf allen vieren arbeitete er sich durchs Wasser in Richtung Tür vor, doch kaum war er losgekrochen, wurde die Kammer von den Wogen herumgerissen. Um Hilfe schreiend rutschte er zurück, prallte gegen seinen schweren Holzstuhl und blieb wie tot im Wasser liegen.
    Die Bespannungen der Fenster waren aufgerissen, und nun stürzten auch von dort die Wellen in den Raum. Durch die Öffnungen peitschten sie herein, rollten tosend heran und ertränkten alle Dokumente, Gewürze und Münzen.
    Abermals versuchte Rungholt, auf die Beine zu kommen. Er wollte zum Geheimfach und es schließen, aber … er konnte sich nicht bewegen. Die Pergamente hatten sich wie ein nasser, dicker Umhang um ihn gelegt. Wie schwarzes Blut troff die aufgeweichte Tinte der Blätter an ihm herunter. Mit einem Mal war sein Kopf unter Wasser, und er bekam keine Luft mehr. Er ruderte mit den Armen, schrie, öffnete wie ein Fisch den Mund … Aber es war vorbei. Er würde in seiner Schreibkammer ertrinken wie ein jämmerlicher Vitalienbruder beim Kielholen. Voller Entsetzen öffnete er unter Wasser die Augen und schlug wild um sich.
    Da meinte er in der Tintenwolke, die ihn umgab, etwas zu erkennen.
    Ein Schemen bloß. Und dieser Schemen kam aus der Tiefe hochgeschwebt, direkt auf ihn zu, glitt am Meilen unter ihm treibenden Schreibpult vorbei, wurde größer und größer …
    Es waren Kinder.
    Acht Kinder.
    Sie waren zusammengebunden und starrten ihn aus klagenden Augen an.
    »Ist alles gut? Du siehst blass aus, Schatz.«
    Verwirrt sah sich Rungholt in der Dunkelheit der Schlafkammer zu Alheyd um. Hatte er sie nicht unters Bett gelegt, damit sie …
    »Ich? Nein … Geht schon. Geht …« Es brauchte einen Moment, bis er sprechen konnte. »War wohl dieses verdammte Mus.«
    »Die Erbsen?«
    »Haben wir irgendwann was anderes gegessen?« Sein Mund war trocken. Er konnte noch das Schwanken spüren. Das Himmelbett rollte noch immer wie im Auge des Mahlstroms.
    »Es war alles frisch, und viel war ja nicht drin«, sagte sie verschlafen.
    »Viel war nicht drin, nein. Daran wird’s wohl liegen!« Obwohl es sich anfühlte, als führe das Doppelbett direkt in den Seestrudel, kämpfte er gegen den Drang an, sich am Pfosten des Baldachins festzuhalten.
    »Jetzt reg dich nicht auf. Brauchst du ein Tuch? Soll ich nach einem Medicus …«
    »Geh mir mit

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