Flutgrab
Nachforschungen anstellen, was mit Agnes geschah. Mit ihr und dem Schmied Gryp.«
Meenkens schüttelte brummend den Kopf. »Kommt runter. Du auch, Weib«, rief er und maulte dann: »Dummes Weibsstück, wie kommst du dazu, einen Fremden ins Haus zu lassen!«
»Ich erkläre Euch alles, Meenkens«, rief Rungholt von der Treppe. »Immer mit der Ruhe.«
Der Böttcher winkte ab, stützte sich auf seinen Stock und ging schweren Schrittes zu seinem Gesellen. Die beiden besprachen etwas, das Rungholt im Runtergehen nicht verstand. Der Geselle legte den Hammer beiseite, nahm seine dicke Schürze ab und eilte ohne Mantel in den Regen hinaus.
»Ich lasse das nachprüfen. Bei diesem Kerkring«, sagte Meenkens und lehnte sich an seine Werkbank. Umständlich streifte er erst die Kiepe voller Brennholz vom Rücken, dann seinen nassen Tappert ab.
»Tut das.« Rungholt zwang sich zu einem Lächeln. Nur langsam konnte er die schmalen Treppenstufen nehmen, weil sein Rücken und seine Knöchel schmerzten. Er hatte die Hälfte bewältigt, als er von oben sah, wie der Böttcher ein paar Zeichnungen zusammenraffte, um für die Kiepe Platz zu schaffen.
Flüchtig konnte Rungholt eine Kogge hinter zwei gekreuzten Hämmern auf einem der Siegel erkennen. Er kannte das Symbol nicht. Der Böttcher rollte die Pergamente zusammen und steckte sie in eine Art Köcher aus wasserdichtem Leder.
»Viel zu tun?«
»Was?«
»Ob Eure Auftragsbücher gut gefüllt sind?« Mit ein paar Schritten war Rungholt bei Meenkens. Die Wärme des Feuers brannte ihm im Gesicht, er hatte das Gefühl, sich Wimpern und Augenbrauen zu versengen. Der Böttcher hingegen war es gewohnt, er verzog seinen Mund, in dem bloß noch drei Stümpfe steckten. Wahrscheinlich hatte das schlechte Essen der letzten Monate ihm die restlichen Zähne zerfressen. Das Regenwasser ließ seine rabenschwarzen Haare schimmern. Über fünfzig und nicht den Ansatz einer Glatze, zürnte Rungholt.
Meenkens grummelte. »Geht uns gut«, meinte er knapp. »Mit Agnes würde das Geschäft noch besser laufen. Haben nicht zu klagen … Und nun lasst uns bitte unsere Arbeit machen. Gott zum Gruß.«
24
Die Tür war mit einem Kugelschloss gesichert, die Kette rostig. Mit einem Stein, so schätzte Rungholt, wäre sie in wenigen Augenblicken vom Schloss geschlagen. Er blickte sich nach einem um, aber die Glockengießergasse war bis zum Lohberg ein einziger See. Der Regen wühlte die große Wasserfläche auf, sodass es aussah, als kochte sie.
Rungholt blickte von dem trüben Wasser auf seinen Tappert und wieder zurück und verwarf den Plan. Wahrscheinlich war es sowieso besser, sich vorsichtig anzuschleichen. Was, wenn Gryps sich hier verkrochen hatte – in der Schmiede auf Besuch nur wartete?
Vorsichtig schlich er im Schutz einiger Schlehenbüsche um den Backsteinbau, trat neben einem verkrüppelten Kirschbaum durch ein schmiedeeisernes Gatter und stand wenig später zwischen der Schmiede und einem angrenzenden Wohnhaus, ging an dessen Seite entlang und wäre auf der Suche nach einem Fenster beinahe in die Sickergrube gestürzt. Bloß weil er sich langsam und tastend fortbewegte, hatte Rungholt den Rand gespürt, ansonsten wäre er in dem Gemisch aus Wasser und Fäkalien abgesoffen, wäre einfach ins Bodenlose gestolpert und elend im Kot steckengeblieben.
Wegen der Flut hatten die meisten Lübecker die Deckel ihrer Gruben mit Feldsteinen beschwert, Gryps’ Grube jedoch stand offen. Ihr Holzdeckel war längst fortgespült worden, und die Scheiße hatte sich mit dem Regen vermischt. Die obersten, recht flüssigen Schichten hatten sich gelöst und waren zum Großteil an die Hauswand, in die Schlehen und aufs Grundstück geflossen.
Es stank bestialisch. Rungholt drückte seinen Unterarm vor Mund und Nase und kämpfte sich durch das brackige Wasser. Endlich erreichte er eines der Fenster. Er zögerte kurz, weil er meinte, wieder Blicke in seinem Rücken zu spüren. Einen Moment tat er, als zückte er seine Gnippe, dann fuhr er ruckartig herum.
Am Kirschbaum! Am Eisengatter, da stand wieder der Schatten! Jemand hatte sich halb hinter den herabhängenden Ästen verborgen und starrte ihn an. Durch den Regen meinte er, eine stämmige Gestalt zu erkennen … Oder war es nur der Pfosten des Gatters?
»Gryps?«, rief er und lehnte sich zur Seite, schirmte die Augen mit der Hand vor dem Regen ab.
Nein. Da war nichts. Bloß der Baum und das Tor.
Wenn überhaupt jemand dort gewesen war, hielt er sich nun
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