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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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führen, zum Beispiel einer Suspendierung vom Unterricht oder der Umsetzung
     in eine andere Klasse. Stattdessen beließ er es bei den bekannten Worten: «Sie gehen schon Ihren Weg.»
    In jenem Moment fragte ich mich, ob er ebenso reagieren würde, wenn er von mir damit konfrontiert worden wäre, dass |223| ich aufgrund eines tätlichen Übergriffs eines Schülers fortan im Rollstuhl in der Schule erscheinen müsste. Bei Mahmoud aus
     der Zehnten, der mir ebenfalls Prügel in Aussicht gestellt hatte, durfte ich mich am Ende ohne Herrn Sterns Beistand mit dem
     Schüler und seiner nur Arabisch sprechenden Mutter über die Konsequenzen beraten.
    Selbst wenn es für mich tatsächlich brenzlig wurde, konnte ich nicht auf ihn zählen. Bei einer Hofaufsicht am Tor 1, dem Einlass
     zum Hof 1, stand ich im zweiten Ausbildungshalbjahr einmal fünf sechzehn- bis achtzehnjährigen Arabern gegenüber, die nicht
     zur Schule gehörten, aber trotzdem aufs Gelände drängten, weil sie mit einem Russen aus der Zehnten noch eine Rechnung zu
     begleichen hatten. Umgehend schickte ich einen meiner Schüler zu Herrn Stern, um ihn darüber zu benachrichtigen. Das tat ich
     nicht aus Angst, denn ich war ja älter als die fünf Araber, sondern weil es das Schulrecht so vorsah. Herr Stern erschien
     auch, verschaffte sich aus sicherer Distanz einen raschen Überblick von der Lage und verabschiedete sich von mir mit den Worten:
     «Ich sehe, Sie haben alles im Griff. Lassen Sie die nicht auf den Schulhof!» Ich blieb allein mit den Typen, von denen einer
     bereits sein Butterfly-Messer schwang.
    Zunächst nahm ich an, Herr Stern verschwand, weil er die Polizei rufen wollte. Auf diese wartete ich aber bis zum Ende der
     Pause vergeblich. Tatsächlich hatte er sich wie ein Erdhörnchen schnell wieder in sein Loch verkrochen, das in seinem Fall
     sein Büro war. Die fünf Jugendlichen bekam ich nur deswegen gebändigt, weil ich sie mit ein paar arabischen Beleidigungen
     beeindrucken konnte, die ich mir von einem meiner Schüler vorsorglich hatte aufschreiben lassen, um zu wissen, mit welchen
     Worten man mich im Unterricht gerade beschimpfte. Und weil ich den Eindringlingen versprach, dem Russen das Leben auf der
     Schule zur Hölle zu machen.
    |224| Hatte mich Herr Stern nun aus Desinteresse oder aus Feigheit im Stich gelassen? Für Letzteres sprach so einiges.
    So besaß er nicht das Rückgrat, sich mit Schülern oder Eltern anzulegen. Weil unsere Schule einen schlechten Ruf und Jahr
     für Jahr weniger Anmeldungen hatte, war jeder Schüler willkommen und musste gehalten werden. Unsere Lehrer mussten auf den
     Schulen im angrenzenden Wedding regelrecht um Schüler werben. Der Zwang, jeden zu akzeptieren, hatte zur Folge, dass unser
     Gymnasium auch von manchen Jugendlichen besucht wurde, die in einer Jugendstrafanstalt deutlich besser hätten betreut werden
     können. Bei uns genossen sie praktisch Narrenfreiheit. Herrn Stern sah lieber weg, statt gewalttätigen Schülern Einhalt zu
     gebieten. So wie er ohne zu reagieren vorbeiging, wenn vor ihm jemand Müll auf den Boden fallen ließ. Kein Wunder, dass die
     Schule innen wie außen verfiel. Wenn sich Herr Stern nicht zuständig fühlte, warum sollten sich Lehrer oder Schüler daran
     stoßen, dass in jeder Etage mindestens ein Wandschrank herausgerissen war, dass an manchen Stellen Elektrokabel von der Decke
     hingen und dass man zu den Klos auch mit geschlossenen Augen fand, indem man dem Geruch folgte. Viele Kollegen hatten die
     Schule längst aufgegeben und warteten nur noch auf eine in Aussicht gestellte Zusammenlegung mit einem anderen Gymnasium.
    Nur ein einziges Mal war während meines Referendariats Jugendlichen ein Verweis von der Schule angedroht worden – nachdem
     diese Schüler eine Lehrerin zusammengeschlagen hatten. Dabei hatte unser Schulleiter jedoch darauf geachtet, dass nicht er,
     sondern eine Kollegin diese Nachricht der betroffenen Klasse und den Eltern übermittelte. Herrn Sterns Beitrag zu diesem Vorfall
     beschränkte sich auf einen selbst verfassten Brief, den er am Infobrett im Foyer aushängte:
     
    |225| Liebe Schülerinnen und Schüler des Werner-Heisenberg-Gymnasiums! Letzte Woche Montag kam es wieder zu einem tätlichen Übergriff
     auf eine Kollegin. Diese wurde dabei verletzt. Mittlerweile geht es ihr glücklicherweise wieder besser. Dennoch erschüttert
     mich so ein Verhalten. Wir werden eine Gesamtkonferenz einberufen und die beteiligten Schüler zur

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