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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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nicht, woher ich diese Zuversicht nahm, was meine sexuelle Performance betraf. Denn meine Leistungen im Bett waren |220| ein sicherer Indikator dafür, wie es mir insgesamt ging. Und gut ging es mir bekanntlich nicht. Vielleicht schöpfte sich meine
     Hoffnung daraus, dass ich immerhin noch gelegentlich Kraft fürs Onanieren fand. Oder ich hatte einfach nur irgendetwas geantwortet,
     was meinen guten Willen unterstreichen sollte und mir im Streit eine Atempause verschaffen würde.
    «Außerdem hast du unseren Jahrestag vergessen.»
    Schon wieder wechselte Melanie unvermittelt das Thema. In meinem eigenen Interesse war es wohl nicht ratsam, sie jetzt auf
     eine mangelnde Kohärenz ihrer Argumente hinzuweisen.
    «Aber André   … äh   … ich meine, tut mir leid. Es kommt nicht wieder vor.»
    Da mir keine bessere Entschuldigung einfiel, drehte ich mich zu ihr, um mich reuig an ihren warmen Körper zu schmiegen. Ich
     war bereit, Atemnot in Kauf zu nehmen und so meine Vergesslichkeit zu sühnen. Weil ich mich wirklich schämte. Und weil ich
     hundemüde war und hoffte, dass sie mich dadurch endlich schlafen lassen würde. Und Melanie ließ mich tatsächlich schlafen.
     Allerdings wandte sie mir nun selbst ihren Rücken zu. Das empfand ich doch als ein bisschen widersprüchlich.

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Herr Serinchen
    «Herr Serin, kommen Sie bitte! Ich bringe Sie in den Vorbereitungsraum.» Jetzt war der Moment gekommen, um meinen Direktor
     unter Druck zu setzen. Eben hatte ich meine beiden Examensstunden gehalten und in den nächsten dreißig Minuten würde die Prüfungskommission
     über meine Noten verhandeln, deren Mitglied Herr Stern war. Zu meinem Leidwesen hatte der sich in den zwei Jahren, in denen
     ich an seiner Schule Referendar war, nicht gerade als ein großer Fan von mir erwiesen. Das war mir aber erst mit der Zeit
     klargeworden.
    Sofort an ihm aufgefallen war mir allerdings ein mich anwidernder Spleen. Namen von Kollegen, die bereits lange an der Schule
     arbeiteten, wurden von Herrn Stern durch das Suffix
chen
verniedlicht, offenbar als Ausdruck von Sympathie. Aus Frau Witt wurde so Frau Wittchen, aus Frau Ullrich Frau Ullrichchen
     und aus Frau Chen Frau Chenchen. Wenn dann noch ein Hallöchen hinzugefügt wurde, sträubten sich mir die Nackenhaare. Obwohl
     er meinen Namen nicht dergestalt verunglimpfte, ahnte ich nicht, dass er mir nicht gewogen war. Denn schließlich erkundigte
     er sich in den ersten Monaten meines Referendariats sogar hin und wieder danach, wie es mir am Werner-Heisenberg-Gymnasium
     gefalle. Es war fast ein bisschen putzig, wie der kleine, dicke, glatzköpfige, rotwangige Herr Stern das Lehrerzimmer betrat
     und mit tänzelnden Schritten zu mir an den Tisch kam, um nach meinem Befinden zu fragen.
    Bald begriff ich jedoch, dass dahinter kein ernst zu nehmendes Interesse an meinem Wohl stand. Die nur gespielte Anteilnahme |222| offenbarte sich mir, nachdem ich die ersten gravierenden Disziplinprobleme in meiner achten Klasse zu beklagen hatte. Als
     Herr Stern wieder einmal von mir wissen wollte, wie es so laufe, entschied ich, mich ihm anzuvertrauen:
    «Also, mit der Neunten und der Elften läuft es gut. Aber meine achte Klasse mobbt mich. Ich habe jedes Mal Bauchschmerzen,
     wenn ich in den Unterricht gehe. Und die Nacht davor kann ich nur mit Tabletten einschlafen.»
    Zugegeben, möglicherweise schüttete ich meinem Vorgesetzten etwas zu freimütig mein Herz aus, aber er hatte schließlich extra
     sein Büro verlassen und mich aufgesucht, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Zudem luden seine jovial-gemütliche Art,
     seine Geselligkeit und seine legere Kleidung   – Turnschuhe, Jeans und ein nicht ganz bis oben zugeknöpftes Hemd – dazu ein, sich vertrauensvoll zu öffnen. Man hatte eher
     den Eindruck, vor einem Kumpel denn vor einem Vorgesetzten zu stehen. Erst viel später schwante mir, dass hinter seinem scheinbaren
     Interesse wohl eher die Neugier stand, herauszufinden, ob ich meinen Aufgaben gewachsen war oder zu den überforderten Referendaren
     gehörte. Und sein damaliger Rat war dann logischerweise auch keiner, der mir weiterhalf:
    «Sie gehen schon Ihren Weg.»
    Ähnlich erging es mir, als ich ihm Wochen später davon berichtete, Tancan und Cemal aus eben dieser Achten hätten mir in der
     Stunde zuvor mit körperlicher Gewalt gedroht. Eigentlich hatte ich mich in der Erwartung an ihn gewandt, meine Mitteilung
     würde zu einer Ordnungsmaßnahme gegen die Schüler

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