Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
darum, dass sie nicht zusah,
wie jemand getötet werden sollte. Zudem hatte sie für Francis die Verantwortung
übernommen. Es musste genügen, dass sie mit Tizian gesprochen hatte und dass dieser
sowohl Schutzhaft als auch Zeugenschutzprogramm als ungenügend ansah. Es war die
Welt, deren Spielregeln Robert kannte. Er brachte es auf den Punkt: »Wenn der junge
Berry einen Neuanfang machen will, muss er kompromisslos alles aufgeben. Es wäre
ein Kunststück, doch es ist nicht unmöglich. Es ist richtig, wenn du mir jetzt keine
Namen nennst.« Pamela schluckte, hatte sie insgeheim gehofft, Robert bezweifle ihre
Geschichte, ihre Sicht? Doch das war’s dann. Robert fuhr fort:
»Nehmen
wir einmal an, er schafft es. Er braucht die Pläne nie mehr in seinem Leben. Er
müsste sie jetzt aufgeben, vernichten. Sie wären endgültig weg. Das würde es mir
erleichtern, die freie Überführung der nicht handlungsfähigen Maude Berry in die
USA zu erwirken. Man muss immer etwas anbieten können. Ich kann auch einen guten
Klinikplatz in Kalifornien auftreiben, in der richtigen Spezialfachklinik. Dann
kann man sehen, was sich tun lässt. Es ist ein Notfall, also sollten die Vorschriften
sehr schnell erledigt sein.«
Bevor sie
den Tisch verließen, legte er eine kleine braune Mappe neben das Gedeck. »Da drin
sind zwei Revolver, es wird immer schwieriger, an Waffen zu kommen. Die nötigen
Papiere sind dabei. Sie taugen nicht viel, das heißt aber, man bringt sie auch nicht
mit mir in Verbindung. Du kannst ja schießen. Vielleicht kann der Junge den einen
gebrauchen. Ich sehe, du hast die große Tasche mitgenommen. Steck sie einfach hinein.«
Vor der Rückfahrt hatte sich Cooper
einen kurzen Lauf verdient. Robert begleitete sie die paar Schritte. Wie er sagte,
tat auch ihm etwas Bewegung gut. Hand in Hand gingen sie den Uferweg entlang. Pamela
entdeckte, dass nicht nur sie andauernd um sich blickte. Auch Roberts Blick schweifte
unablässig in die Runde. Dann verabschiedeten sie sich mit einem langen Kuss, einem
äußerst innigen Kuss.
Schon fuhr sie bei Mühleberg vorbei.
Ein Leben mit Robert glich einer Fata Morgana, einer Luftspiegelung, du schleppst
dich verdurstend durch eine Wüste, träumst dir eine Oase, hältst für real, was du
siehst. Ein Leben an seiner Seite war eine Verwechslung der Realitäten. Sie meinte
Alices Stimme zu hören, doch sie wusste ganz genau, es waren ihre eigenen Gedanken.
Warum war sie denn so froh gewesen, vom Schlösschen wegzukommen? Fürchtete sie,
auf Dauer nicht glücklich zu werden mit einem Partner, der so viel älter war? Ganz
abgesehen davon, was war sie denn für ihn? In seinem Leben wäre sie sein Traum ewiger
Jugend und ein Energiespender. Er war ihr an angeeignetem eigenem Wissen, Lebenserfahrung
in unterschiedlichsten Konstellationen, Begegnungen mit wirkenden, denkenden, handelnden
Menschen, Lebensmöglichkeiten durch Bildung, Kultur und Reichtum um Längen voraus.
Liebe mochte dies eine Zeit lang überbrücken. Es kam einem Sicherheits- und Bequemlichkeitsbedürfnis
entgegen, war ideal, Kinder großzuziehen. Doch auf die Dauer stürzte es sie in Minderwertigkeit,
denn sie verglich doch, ob sie wollte oder nicht. Hatte sie gedacht, in seiner Nähe
zu wachsen? Sollte ihr Leben nicht aus eigener Kraft, aus dem eigenen Muster kommen?
Es war diese Abhängigkeit, die Unmündigkeit, aus der sie weggegangen war. Sie wollte
doch nicht zu einer Kindfrau mit heller, singender Kinderstimme mutieren. Pamela
konzentrierte sich auf den Verkehr. Wie weit versteckte sie sich hinter der Meinung
von Alice, die doch eher eine Alt-68er-Übermutter war, und suchte dabei nur nach
einer Entschuldigung. Sie war im Begriff, ihre Liebe zu verraten, und wozu? Aus
einer innersten Furcht, ihre Lebensaufgabe zu verpassen, das, wozu sie zur Welt
gekommen war.
Das Buch. War nicht der ursprüngliche
Grund dazu der, dass es sie mit Robert verband? Ein Versuch, eine geistige intellektuelle
Beziehung zu Robert und seiner Welt aufzubauen, zu halten, zu festigen. In seiner
Welt hatte Gartenkultur einen hohen Stellenwert. Das war wie eine Erkennungsmarke,
eine Ermächtigung zum Zutritt zu seinen Kreisen. Doch die Kunst der Gärten, das
war auch sie, gehörte zu ihr. War das eine unweigerlich mit dem anderen verknüpft,
Gartenkultur als Kunstform einer Elite? Katapultierte sie sich damit weg aus dem
Bewusstsein einer elitefeindlichen Mehrheit?
Gleich war sie in Bern. Sie fühlte
sich in ihrem Auto, als
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