Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
allem zu ihr. »Ich weiß, was du für meine Mutter tust, auch wenn du sie
gar nicht magst. Wenn du meine Meinung wissen willst, ich denke, es gibt keine Chance
einer Besserung. Das ist das Verrückte. Ich werde es nicht wissen. Sie wird gar
nicht bemerken, dass ich weg bin, wo auch immer sie sein wird. Auch vor ihrem Unfall
hatte sie herzlich wenig für mich übrig. Wäre ich tot, wäre ich sowieso nicht mehr
für sie da. Ich kann mich jetzt nicht nach ihr umdrehen. Ich will leben.«
Pamela legte
ihren Arm um seine Schulter: »Genau das wollen wir alle für dich. Für Maude fühlen
wir uns gemeinsam verantwortlich. Sobald Emily weiß, was los ist, wird sie mithelfen.
Du darfst dich auch gar nicht umschauen, denn du hast einen Sonderspurt vor dir.«
Francis rückte etwas von ihr ab, streckte sich: »Außer Gary kann mir keiner helfen,
real. Gary sieht einen Weg, wie ich hier rauskomme, er hat einen Plan. Also wird
es genauso gehen, wie Gary sagt. Er hilft mir hier weg.«
Pamela riss
sich zusammen, nickte. Auch sie wusste es. Doch sie sah seine Einsamkeit. Woher
wusste er, wie es war, allein zu sein? Er ging weg, auf einen anderen Kontinent.
Er könnte nicht einfach das Rad nehmen, wenn er Heimweh hatte. Er wird nicht Heimweh
haben dürfen. Er trennte sich für immer von Josy, von Maude, ein bisschen auch von
ihr. Sie schluckte, war er überhaupt schon einmal für länger von Bern weg gewesen?
Für einen Berner war doch das das Schlimmste. Jetzt lachte sie: »Gut, dass du nur
ein halber Berner bist. Es wird dir leichter fallen, an einem neuen Ort Wurzeln
zu schlagen, das wirst du nämlich tun.«
Sie schluckte
die plötzlichen Tränen hinunter. Vielleicht war sie auch nur verzweifelt, weil alles
so schnell ging, weil sie sich verantwortlich fühlte. Ans Nachher durfte sie gar
nicht denken. Sie hatte einen Jugendlichen in ihrer Obhut, und der würde einfach
verschwinden. Sie könnte sich nicht rechtfertigen, nicht erklären, dass sie nicht
zulassen konnte, dass er ermordet wurde, und dass sie ihn nicht schützen konnte.
Gleich. Sie würde es auslöffeln. Sie spürte Garys Blick und wusste, dass er in ihrem
Gesicht las wie in einem Buch. Sie biss sich auf die Lippen.
Gary war
entschlossen. »Du fährst morgen mit Francis zum Bootshaus, stellst ihn ab, wartest
im Auto. Er wird so tun, als gehe er Kanu fahren. Aber er werkelt ein wenig am Boot,
und nach einer halben Stunde nimmst du ihn wieder mit. Ich mobilisiere gleich zwei,
drei Freunde, die gehen morgen dort grillen. Die brauchen nicht zu wissen, worum
es geht. Das kann uns niemand verbieten. Sie drehen dann nach 17 Uhr ein paar Runden
am See, halten das Bootshaus und die Umgebung unter Kontrolle. Wenn ihr dann weg
seid, können sie ihre Cervelats auf den Grill legen. Zur Sicherheit halten sie sich
auf Abruf bereit. Das ist völlig unspektakulär, die Wassersportler und die Fischer
werden sich etwas aufregen wegen dem Lärm, und weil sie Rocker nicht mögen, aber
die Kollegen sind friedfertig. Die frische Luft wird ihnen gut tun. Ich werde in
einem unauffälligen Kombi im Rathausparkhaus auf euch warten.«
Lucius kam nach Hause. Sie legten
an Bargeld in Euro zusammen, was da war: 830 Euro, dazu 200 amerikanische Dollar.
Pamela würde Lucius das Geld in Raten abstottern. Es durfte in der nächsten Woche
nirgends eine unübliche Bankbewegung geben.
Francis
würde alles zurücklassen, Papiere, Kreditkarten, den PC, die CDs, Sack und Pack,
das der Taxifahrer vor ein paar Wochen hergebracht hatte, wenig genug. Einzig das
Portemonnaie, seine Uhr, das Medaillon seiner Mutter, sein Taschenmesser würde er
mitnehmen. Was man gedankenlos bei sich trägt.
Gemeinsam
verfassten sie seinen Abschiedsbrief. Er wisse sich nicht mehr zu helfen und mache
seinem Leben ein Ende. Er bat darum, seine Mutter Maude Berry in Kalifornien in
einer Trauma- und Schmerzklinik behandeln zu lassen. Er bestimmte seine Patin Emily
Abegg, Juristin, zurzeit in San Diego, Kalifornien, als alleinigen Vormund und rechtliche
Vertreterin seiner Mutter sowie als deren Vermögensverwalterin. Francis atmete tief
durch, sah Pamela an. Dann datierte er und unterschrieb. Den Brief würde er in der
Mansarde auf den Tisch legen, wo man ihn fände. Es war sein endgültiger Abschied.
Josys Notebook
Natürlich
bin ich jetzt kein Kind mehr, falls ich überhaupt je eines war. Vielleicht ist die
erste Liebe immer ein Schwarm. Ein Traum, eine Überhöhung, das Höchste, was ein
Mensch einem andern Menschen
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