Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
geben kann. Der Glaube an das göttliche Ideal, auch
wenn das abgegriffen ist. Habe ich mir Francis ausgesucht? War er einfach zufällig
da, ganz passabel, zum Zeitpunkt, da ich mich unbedingt verlieben wollte?
Ich wäre
ihm gefolgt, zunächst um ihn zu bespitzeln, aus Eigensucht, weil mein Leben so leer
war. Dann wollte ich ihn schützen, dann wurde ich einfach geil auf ihn, so kann
man Liebe auch interpretieren. Und weil ich einen positiven Dreh in mir habe oder
weil es eine ethische Verbrämung braucht, den Verboten meiner Familie gegenüber,
hätte ich die Liebe in all ihren Tönen besungen.
Ich habe
mich ihm an den Hals geworfen, mehr nicht. Er hat mich nicht gefragt, ob ich mitkomme,
nicht gefragt, ob ich nachkomme, mir nie gesagt, er könne ohne mich nicht leben,
eben an den Hals geworfen. Darin wäre ich nicht besser als Wilma, die tut es doch
im Prinzip gegen Geld. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater das nicht
durchschaut. Was wollen sie voneinander? Wäre ich ein Junge, niemand würde sich
an meinem Verhalten stören. Es gibt auch Kulturen, da gibt es diese Gleichberechtigung.
Ich denke, mein Vater ist ein »Außenposten« der Mafia seines Landes. Hier ist er
in die Baumafia mehr als eingebunden, er scheint sie in der Hand zu haben. Wilma
ist mitbeteiligt am Gewinn, den das Stadion erwirtschaftet, die Gattin des Minos,
eine Menschenfresserin.
Wie war
das mit der Tochter des Minos? Sie hat sich in eines seiner Opfer verliebt. Da war
sein jugendlicher Körper, schön, vital, unverbraucht, noch nicht abgefeimt. Sie
verführte ihn. Sein Tod schien unausweichlich, sie entschloss sich, ihn zu retten,
doch er musste ihr schwören, immer ihr zu gehören.
Verrat.
Ariadne, die Tochter des Minos, verriet ihren Vater und ihren Stierbruder und damit
die Zugehörigkeit zu einer Sippe, um ihren Traum von Liebe zu retten. Ich bin Josy.
Ich »opfere« im selben Moment mein Glück, nicht nur auf diese Liebe, sondern weil
ich nie mehr zurück kann, innerlich. Es wird niemand merken, was ich getan habe.
Doch ich werde es wissen. Von jetzt an stehe ich endgültig außerhalb. Ich werde
nie Wilmas Weg gehen, keinen der »Freier« heiraten, keine Familie mehr haben. Ich
bin bereit, zu bezahlen. In Gedanken habe ich »die Liebe« erlebt, Reinheit, Unio
Mystica. Es sind nicht nur Gedanken, denn in einer anderen Dimension ist es real,
auch die Zeit wird es nicht auslöschen. Francis weiß das genau, im Schlaf. Dem Leben
einen höheren Sinn gegeben zu haben, ist das nichts? Sich selbst damit überhöht
zu haben. Der Wunsch, etwas Besonderes zu sein, sich selbst achten zu können. Der
Wunsch nach Anerkennung, der hinter den meisten Handlungen zu finden sei, ist in
meinem Fall Anerkennung durch mich selbst. Ich selbst bin mir der strengste Richter.
Da schlägt halt das jüdisch-christliche Denken nach Gut und Böse, Gericht und Urteil,
Schuld und Sühne durch. Gnade wäre auch so ein Begriff, die Gnade eines Gottes oder
Gnade des Schicksals. Ich bin eben doch katholisch getauft.
Die untere
Kirche der Dreifaltigkeitskirche als Ort, an dem ich beten kann.
Ich habe mir lange überlegt, ob
ich Francis mein Notebook mitgebe. Er wüsste dann, wie sehr ich ihn liebe. Er würde
irgendwo in der Welt auf mich warten. Er wäre nicht allein, weil er wüsste, dass
mein Herz ihm gehört. Das würde ihn wärmen. Doch es wäre falsch. Ich denke, er ist
eben ein Junge, ein ganz gewöhnlicher Junge. Ich habe ihn zu meinem Traum geformt,
habe ihn mit Feinheiten ausgestattet, die ich mir vom Menschsein träume. Helfe vielleicht
jetzt, dass sein Leben weitergeht. Doch er ist ein Traum. Nicht real.
Ich fühle
mich total auf mich zurückgeworfen. Der Mensch ist immer allein. Er sucht verzweifelt
nach Wärme, bis er endlich merkt, dass er diese nur in sich selbst findet. Das menschliche
Bewusstsein ist ein Gaukelstück. Es spiegelt immer nur sich selbst. In tausendfacher
Facette. Ein Zappen durch Möglichkeiten. Francis kann nur leben, wenn ich ihn total
loslasse. Da hat Gary recht.
Wenn es
aber so wäre, dass eine mentale Ebene zwischen den Menschen existiert, wie Lucius
meint, dann wäre ich jetzt mit Francis verbunden, als wären wir vereint. Nach meinen
Träumen. Dann werden wir zueinander finden. Es ist nicht einmal wichtig, wann. Oder
wo. Weil Zeit eben doch eine Illusion ist, wie vor allem auch die materielle Welt.
Der Raum. Dann ist eben der einzelne Mensch auch nicht wichtig, wäre ersetzbar.
Dann wäre Francis eine Spiegelung
Weitere Kostenlose Bücher