Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
offenstehen, die Parkzettel wurden sowieso hinfällig. Alle Notausgänge
würden entriegelt, und ebenso wäre kein Zimmer mehr verschlossen. Die Überwachungskameras
wären ausgeschaltet. Personal müsste auch die Sicherung übernehmen.
Josy und Lucius fuhren im Volvo
auf den Parkplatz hinter dem Kursaal. Josy arbeitete mit dem Laptop. Sie waren so
nah, die Verbindung war tadellos. Es war nicht gerade ein Kinderspiel, schon eher
eines dieser wirklichkeitsgetreuen Computerspiele für Fortgeschrittene. Als Erstes
klinkte sie sich in den Zentralcomputer der Klinik ein, meldete die nötigen Passworte,
war in der Energieversorgung, schaltete das Sicherheitssystem parallel auf ihren
Bildschirm, so würde sie sehen, was genau wann und wo ablief, nahm auch die Parkhausüberwachung
und die Korridorüberwachung auf ihr Bild. Das genügte vorerst einmal. Um 9.50 kappte
sie mit ein paar Mausklicken in allen diesen Bereichen den Strom. Sie konnten auf
ihrem Bildschirm sehen, wie rasch es ging. Schon waren automatisch die nötigen Notstromanlagen
in Betrieb, schon waren die Sicherheitssysteme ebenso automatisch deaktiviert. Josy
strahlte Lucius an. »Da wären wir!« Lucius nickte anerkennend, »Sagte ich’s doch!«
Lucius startete, sie fuhren das schmale, steile Sträßchen hinunter, fuhren um die
enge Kurve, schon hatten sie den botanischen Garten erreicht. Sie fuhren die Mauer
entlang, bogen links ab, da war die Einfahrt zum Parkhaus der Klinik, der Schlagbaum
war oben. Sie fuhren hinein. Lucius verließ das Auto, ging rasch, aber nicht auffällig
schnell, zur schwarzen Marmortreppe des internen Zugangs, nur für Personal. Josy
schaute gespannt. Wirklich, er drückte die Klinke, öffnete die Tür, ging durch.
Er verschwand. Sie rutschte tief in ihren Sitz, machte sich klein, den Laptop auf
den hochgezogenen Knien. Auf dem Bildschirm sollte sich jetzt nicht allzu viel bewegen.
Lucius würde ungehindert die Treppen hochgehen bis ins dritte Stockwerk. In den
Korridoren herrschte jetzt wohl ein gewisses Durcheinander, Personal lief hektisch
herum. Doch gerade deshalb wäre es einfach. Falls jemand ihn aufhielte, brauchte
er bloß zu sagen, er sei auf dem Weg in den dritten Stock. Falls jemand weiterfragte,
sagte er, er sei wegen der Fensterdichtung hier. Das hatte nun wirklich nichts mit
einem Stromausfall zu tun und interessierte im Moment niemanden. Auch im dritten
Stock sagte er das von der Fensterdichtung. Er beträte ganz einfach das dritte Zimmer
nach der Sicherheitstür, Maude Berrys Zimmer. Falls sie nicht im Rollstuhl saß,
setzte er sie hinein, bände sie fest, nähme sie mitsamt dem Rollgestell, an dem
sie hing, was auch immer daran baumelte. Und dann würde er sie nach draußen fahren.
Josy war ganz verkrampft. Sie sah auf die Uhr. Exakt nach zwölf Minuten schaltete
sie den Strom im Westflügel für fünf Minuten wieder ein. Lucius konnte jetzt den
Lift bedienen, den Rollstuhl und das Rollgestell hineinschieben, direkt ins Parkhaus
hinunterfahren. Josy kontrollierte. Die Ausfahrtschranke des Parkhauses war noch
immer oben. Im Augenblick, als die Lift-Tür offenstand, blockierte Josy den Strom
zum Parkhaus erneut, definitiv. Die Klinik konnte diese Panne später beheben. Die
Kameras würden nichts aufzeichnen.
Maude lächelte
sanft vor sich hin. Mit vereinten Kräften hoben sie sie auf den Hintersitz von Huberts
Auto, schnallten sie an, die ganze Einrichtung mit den Beuteln legten sie schräg
neben sie auf den Sitz. Der Rollstuhl sollte wenn irgend möglich mit. Etwas nervös
fingerte Lucius an diversen Knöpfen und Schrauben. Endlich klappte er ihn mit zwei
Rucken zusammen, hob ihn ins Heck. Josy klemmte sich neben Maude auf den Hintersitz,
hielt sie sanft fest und streichelte ihre Hand. Maude hatte alles über sich ergehen
lassen, saß jetzt mit stumpfem Blick da. Lucius fuhr los. Er war doch etwas klein
für dieses Auto, beinahe hätte er beim Rückwärtsfahren einen Pfosten gerammt. Schon
fuhr er sorgfältig die Rampe hoch, durch die Rappentalstraße, den Aargauerstalden
zum Bärengraben hinunter und schon den Muristalden hoch. Wie durch Zauberei waren
die Straßen frei, hier und dort stand ein Motorradfahrer auf einem schweren Motorrad
wartend am Straßenrand. Bei der Einfahrt in den Thunplatz, der Josy besorgt entgegengesehen
hatte, weil hier die Trams und die Ampeln ihre Fahrt stoppen würden, war zu ihrem
Erstaunen die Straße frei. Zwei dieser behelmten, schwarz gekleideten Motorradfahrer
trugen orange
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