Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Schirmen bei sich,
doch den benötigte sie nur für die kurzen Zwischenstrecken, in den Lauben war sie
vor dem Gewitter wunderbar geschützt. Ein Paar Sanitätshandschuhe hatte sie in ihre
Umhängetasche gesteckt. In der Eingangshalle des Kinos standen doch schon einige
Leute herum, erstaunlicherweise viele Jugendliche. Vielleicht hatten sie sich aus
dem Regen ins Trockene geflüchtet. Pamela kaufte das Ticket und ging gleich wieder.
Unter dem Vordach draußen standen jene, die vor der Vorstellung unbedingt noch rauchen
wollten. Es war keine Gefahr, dass Pamela auffiel oder dass jemand sie kannte.
Es regnete
etwas weniger, vor allem schien das Gewitter abzuziehen. Mit hochgezogener Kapuze
und geöffnetem Schirm ging sie eilig die Schanzenstraße hoch zum vereinbarten Parkplatz
in der Quartierstraße hinter der Uni. Da stand der graue Kombi, ein Blick, das Rad
befand sich im Kofferraum. Vor dem Öffnen schlüpfte sie in die Handschuhe, die Tür
war nicht geschlossen, der Schlüssel lag unter dem Sitz. Auf der Autobahn fuhr sie
im strömenden Regen Richtung Interlaken. Im Grunde tat sie nichts anderes, beinahe
nichts anderes, als dass sie ein Auto, das heute einer von Garys Kollegen von Gstaad
im Simmental nach Bern gebracht hatte, wieder ins Simmental zurückbrachte. Bei Wimmis
zweigte sie ab in Richtung Zweisimmen, Gstaad. Bald schon fuhr sie auf einer Nebenstraße.
Es war dunkel geworden, die Sicht war miserabel, die Scheibenwischer fuhren hektisch
hin und her, es schüttete aus Kübeln. Irgendwo musste eine Regenwolke zwischen den
Bergzügen stecken geblieben sein, die regnete sich jetzt aus. Rechts und links der
Straße schien in den Seitengräben Wasser zu fließen. Wenn es dermaßen in die Schneeschmelze
hinein regnete, könnte dies unvorhersehbare Schlammlawinen auslösen. Pamela hatte
dies in der Tagesschau gesehen. Man konnte nicht wissen, wo ein Hang ins Rutschen
kam, als brauner Strom schoss es aus den Tannen hervor, riss einfach alles mit.
Es wäre ein eigenartiger Zufall, träte das genau in dem Moment ein, da sie mit diesem
fremden Auto durchfuhr, und es erfasste ausgerechnet sie hier und jetzt. Viel wahrscheinlicher
war, dass innerhalb der nächsten halben Stunde das Tal unpassierbar würde. Sie musste
achtgeben, nicht in einen Schlammbach hineinzufahren. Ebenso blöd wäre natürlich,
sie würde in eine Straßensperre irgendeiner der örtlichen Feuerwehren geraten. Sie
durfte hier hinten nicht gesehen werden, denn sonst könnte sich ein Schlaumeier
an sie erinnern, wenn Francis’ Rad gefunden wird.
Sie fuhr
langsam, konzentrierte sich auf die Ortsschilder. Da – sie fuhr an der gedeckten
Brücke vorbei. Merkte sich die Kurven bis zur nächsten Ortstafel. Hier war rechts
die Garage, sie bog ab. Da war der Parkplatz. Das Auto würde sie hier zurücklassen.
Kein weiteres Haus, kein Licht. Im Dunkeln entledigte sie sich kurz der Handschuhe,
schlüpfte in Francis’ Turnschuhe, die Regenjacke. Sie nahm Francis’ kleinen Rucksack,
band die Kapuze fest ums Gesicht. Die eigenen Schuhe und die Pelerine steckte sie
in eine Plastiktüte. Jetzt zog sie die Handschuhe wieder an, holte das Rad aus dem
Kofferraum, ließ leise die Heckklappe zuschnappen. Die Tüte und ihre Pelerine klemmte
sie auf den Gepäckträger. Schon fuhr sie im Regen die Straße zurück. Bei der kurzen
Fahrt, sie fuhr langsam, lenkte sie das Rad am Straßenrand zweimal durch matschige
Pfützen, es musste doch so wirken, als wäre Francis damit von Bern hierher gefahren.
Sie fuhr über die unter Heimatschutz stehende gedeckte Brücke, die so eng war, dass
sie höchstens von schmalen landwirtschaftlichen Fahrzeugen passiert werden konnte.
Am andern Ende stieg sie ab. Das Tosen und Gurgeln und Brüllen der Simme schien
sie zu umfangen, Hochwasser. Im Schlamm hinterließ sie schöne Trittspuren, doch
der Regen würde diese bald wegwaschen. Das Rad lehnte sie an die Rückseite eines
Busches, man würde es finden.
Auf der
durch Dach und Wände gegen Regen geschützten und deshalb trockenen Holzbrücke hinterließ
sie deutliche Schlammspuren. Bei der Seitenöffnung legte sie den Rucksack ans Holzgeländer,
auf den Bretterboden Francis’ Jacke, den Revolver, die Mütze. Es war stockdunkel
und das Tosen des Wassers so laut, sie würde nicht bemerken, wenn jemand hier wäre.
Doch um diese Zeit und bei diesem Wetter käme kein Mensch mehr hierher. Pamela beeilte
sich, die Turnschuhe auszuziehen, warf sie über das Geländer. Sie schlüpfte in
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