Folge dem weißen Kaninchen
kausal, denn beide treten gleichzeitig auf. Der Schwips
basiert
lediglich auf der Nerventätigkeit, wird aber nicht von ihr verursacht. Zum Vergleich: Die Durchsichtigkeit einer Scheibe hängt von den einzelnen Glasmolekülen ab, aber diese Moleküle verursachen nicht die Durchsichtigkeit.
Das Zauberwort der modernen Bewusstseinsforschung für diesen nichtkausalen Zusammenhang ist
Supervenienz
, eingeführt von dem amerikanischen Philosophen Donald Davidson. Zugegeben, ein sperriger Fachausdruck, doch den zugrunde liegenden Begriff kennen wir alle. «Supervenienz» sagt einfach, dass es eine
einseitige Abhängigkeit
gibt. Der Satz «Das Bewusstsein superveniert auf einer neuronalen Grundlage» heißt einfach: «Das Bewusstsein hängt einseitig von einer neuronalen Grundlage ab», die Grundlage selbst hängt jedoch nicht vom Bewusstsein ab.
Man kann sich die Supervenienz anhand der Grinsekatze aus
Alice im Wunderland
verdeutlichen. Die Grinsekatze wird manchmal unsichtbar. Sie verblasst immer mehr, bis angeblich nur ihr Grinsen zurückbleibt. Als Alice das sieht, denkt sie: So etwas! Ich habe zwar schon oft eine Katze ohne Grinsen gesehen, aber ein Grinsen ohne Katze! Das ist denn doch das Allerseltsamste, was ich je erlebt habe. Wie Alice finden wir diese Vorstellung kurios, weil sie widersprüchlich ist. Der Widerspruch basiert auf unserer Annahme, dass jedes Grinsen auf einem Körper superveniert, das Grinsen also einseitig vom Körper abhängig ist: Es kann kein Grinsen geben, ohne dass die Grinsekatze etwas tut. Aber die Katze kann etwas tun, ohne zu grinsen. Der Regisseur Tim Burton hat dieses Problem in seiner Verfilmung von
Alice im Wunderland
aus dem Jahr 2010 raffiniert gelöst: Die Katze verschwindet nicht ganz. Eine Art Nebel bleibt zurück, in dem man noch ein Grinsen erkennen kann. Eine exakte Umsetzung des Textes ist nämlich unmöglich, denn jedes Grinsen braucht eine Trägersubstanz. Ist gar nichts da, kann es kein Grinsen mehr geben. Philosophisch ausgedrückt: Im Normalfall superveniert ein Grinsen auf Muskelbewegungen des Gesichts.
Genauso kann es kein Bewusstsein geben, ohne dass ein Gehirn existiert, von dem das Bewusstsein abhängt. Deshalb verändern sich Bewusstsein und Gehirn immer zusammen, aber diese Beziehung ist asymmetrisch. Jede bildliche Vorstellung, jede Körperempfindung wie Hunger oder Kitzeln, jedes Gefühl wie Wut oder Freude und jeder noch so verwegene Gedanke können als bewusster Zustand oder Prozess nur existieren, falls es auch eine entsprechende Grundlage im Gehirn gibt. Das Umgekehrte gilt allerdings nicht. Viel geht in unserem Gehirn vor, ohne dass dem etwas in unserem Bewusstsein entspricht. Zum Beispiel fließt Blut kontinuierlich durch die feinen Äderchen hindurch. Dem Blutfluss jedoch entspricht kein Erleben.
Weil das Bewusstsein vom Gehirn abhängt, kann man es auch ändern, indem man das Gehirn direkt stimuliert oder die Zusammensetzung der Botenstoffe im synaptischen Spalt manipuliert, also in der Schaltstelle zwischen den einzelnen Nervenzellen. Hier wirken Alkohol und andere Drogen. Sie schaffen ein verändertes Milieu, und indem sich die Grundlage ändert, ändert sich gleichzeitig das bewusste Erleben. Das geht auch anders: Neurologen, die im Gebiet der
tiefen Hirnstimulation
arbeiten, leiten Strom durch feine Drähte in geschädigte Hirnbereiche und können so Krankheiten wie Depressionen oder Parkinson lindern. Sie kreieren sozusagen einen Hirnschrittmacher, der hyperaktive Areale von außen normalisiert. Bei einem Parkinson-Patienten schlug die Strombehandlung nicht nur gut auf seine Bewegungsstörungen an, sondern versetzte ihn außerdem in eine dauerhafte Euphorie. Ihm gefiel dieser neu erlangte Zustand so gut, dass er den Gehirnschrittmacher gar nicht mehr abschalten wollte. Vorsichtshalber tauchte er mitsamt dem Gerät für drei Jahre unter und kehrte erst ins Krankenhaus zurück, als der Akku leer war.
Ein anderer, vormals depressiver und suizidgefährdeter Parkinson-Patient erlangte seine Bewegungsfähigkeit und seinen Lebenswillen zurück, indem ein Gebiet in seinem Großhirn über einen Zeitraum von fünf Jahren elektrisch reguliert wurde. Selten treffen die Ärzte bei Operationen dieser Art auch Nachbarregionen. Als sie die Stimulation in einem Experiment erhöhten, brach der Patient in lautes Gelächter aus. Sein Gejauchze war ansteckend. Auch die Ärzte kriegten sich nicht mehr ein. Der Patient fand auf einmal alles lustig, blickte mit
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