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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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der Innenperspektive, zu einer objektiven, wissenschaftlichen Perspektive. Doch die Innenperspektive ist ja gerade Teil des Problems. Wer so die Perspektive wechselt, wechselt auch das Thema.
    Leben und Bewusstsein sind Phänomene von Systemen. Kein einzelnes Molekül in unserem Körper lebt für sich genommen, sondern Leben entsteht erst dann, wenn sie wie in einem Orchester zusammenspielen. Beim Bewusstsein scheint es auf den ersten Blick ähnlich zu sein. Nicht ein einzelnes Neuron in unserem Gehirn hat Bewusstsein, sondern nur wir mit unseren 100  Milliarden Neuronen und all ihren unzähligen synaptischen Verbindungen. Nur: Beim Leben entsteht nichts fundamental Neues, wenn man alle Moleküle zusammennimmt. Bewusstsein ist anders. Nimmt man alle Eigenschaften der Atome im Gehirn zusammen, ihre Bindungsstärke, ihr atomares Gewicht und ihre Wechselwirkung mit anderen Atomen, dann hat man noch kein Bewusstsein. Allem Anschein nach kommt mit Bewusstsein etwas Neues in die Welt, das man nicht aus der Summe seiner Teile erklären kann. Oder vielleicht doch? In den letzten sechzig Jahren kamen einige spannende, aber auch viele skurrile Vorschläge auf den Markt.

Schmerzhafte Lösungsversuche
    Sie schneiden sich in den Finger, und es tut weh. Der Schmerz hat diese typische unangenehme Erlebnisqualität: Sie spüren ihn auf diese bestimmte Weise, die anders ist als beispielsweise ein Kitzeln. Der Schmerz ist erträglich, Sie müssen nicht aufschreien, aber er ist auch nicht so schwach, dass Sie ihn einfach ignorieren können. Schmerz ist eines der Lieblingsphänomene der Philosophen: Er verdeutlicht sehr eindringlich, worin sich die Lösungsversuche des Leib-Seele-Problems unterscheiden. Hier ist eine Auswahl:
    Die
Behavioristen
sagen, der Ausdruck «Schmerz» bezeichne keinen inneren Zustand, sondern nur ein typisches Verhalten: Schreien, Winseln, Aua-Sagen. So absurd das heute klingt, diese Position hat bis in die fünfziger Jahre die Psychologie dominiert. Der Behaviorismus lädt zu Scherzen ein: «Nach dem Sex sagt ein Behaviorist zu einer Behavioristin: Dir hat es gefallen, wie fand ich es?» Die Pointe liegt auf der Hand: Behavioristen können nicht über ihr Innenleben sprechen, denn das verneinen sie ja. Und wer sich ihnen zufolge nicht selbst beobachtet, weiß nicht, ob er Lust oder Schmerzen hat. Offenbar wechseln Behavioristen das Thema. Sie ignorieren das Problem des Bewusstseins, statt es zu lösen.
    Die Vertreter der
Identitätsthese
sind da raffinierter. Sie sagen: Schmerzempfindung und die Aktivierung neuronaler Schmerzfasern im Hirn sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir reden über denselben Zustand oder dasselbe Ereignis nur mit verschiedenen Wörtern. Statt «Ich habe Schmerzen» könnte man auch sagen: «Meine C-Nervenfasern sind elektrisch aktiviert», ebenso wie man statt «Ich liebe dich mit jeder Faser meines Herzens» auch genauer sagen könnte: «Ich liebe dich mit jeder Faser meines limbischen Systems.» Auch an dieser Position ist etwas dran. Sie ist aber mit dem Problem eines zu menschlichen Tunnelblicks konfrontiert, mit einem
neuronalen Chauvinismus
, wie es der amerikanische Philosoph Ned Block nennt: In fernen Galaxien könnten Außerirdische leben, die Schmerzen spüren, obwohl sie ganz anders geartete Gehirne haben. Warum sollte jeder Schmerz gerade denjenigen Fasern entsprechen, die man bei Menschen und anderen Säugetieren findet? Und selbst wenn man akzeptiert, dass auch Außerirdische Schmerzen erleiden können, bleibt das Problem: Meine Nervenzellen haben keine Innenperspektive, ich mit meinem Schmerz aber schon. Die Ausdrücke «Schmerz» und «Nervenfaseraktivität» sind offenbar nicht so einfach austauschbar wie die Bezeichnungen «Wasser» und «H 2 O».
    Eine ähnliche Position vertreten die Anhänger der
Bewusstsein-ist-wirkungslos-Theorie
, die im Fachjargon
Epiphänomenalisten
heißen. Sie leugnen nicht, dass es Bewusstsein gibt, behaupten aber, dass es überhaupt keine Funktion hat und dementsprechend keine Erklärung braucht. Bei allem, was wir tun, läuft zwar ein Erleben mit, aber nur so, wie etwa ein Untertitel zu einem Film mitläuft, dessen Sprache wir ohnehin verstehen. Anders gesagt: Wir könnten eben auch alle Zombies sein. Es ist schwer, diese Position zu widerlegen. Wir haben allerdings die starke Intuition, dass Bewusstsein einen Unterschied macht. Wer schon einmal aus Angst weggerannt ist, der hatte den Eindruck, genau aus diesem Grund so gehandelt zu

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