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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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amüsierten Augen umher, produzierte ein Wortspiel nach dem anderen und lachte sich über die große Nase des französischen Chefarztes schlapp, der ihn an Cyrano de Bergerac erinnerte. Die Mediziner hatten eine Region unterhalb seines Thalamus im Zwischenhirn beeinflusst. Hätte der Patient unter normalen Bedingungen einen guten Witz gehört, wäre dieselbe Region vermutlich auf natürliche Weise aktiviert worden, und er hätte auch gelacht. Die Ärzte haben lediglich eine Abkürzung genommen.
    Die These, dass Bewusstsein vom Gehirn abhängt, ist die Grundannahme des
Physikalismus
, also der Gegenposition zum Dualismus. Der Physikalismus nimmt keine obskuren Seelensubstanzen an, sondern sagt, dass alles physisch ist. Physikalisten vermeiden so die dualistischen Widersprüche. Für die Erklärung des Bewusstseins ist damit aber noch nicht viel gewonnen, denn man weiß ja nur, dass es ebendiese einseitige Abhängigkeit gibt. Von welcher Natur sie ist, ist damit noch nicht gesagt. Der deutsche Physiologe Emil du Bois-Reymond vertrat schon vor über 100  Jahren die Auffassung, dass der Zusammenhang zwischen Erleben und Gehirn vollständig «unbegreiflich» sei, also wie das Erleben «Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmeck Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot» aus «einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen» entstehen könne. Damit hat er das Problem auf den Punkt gebracht, das der amerikanische Philosoph James Levine sehr viel später mit dem Schlagwort «Erklärungslücke» versehen hat: Warum sind bestimmte Strukturen oder Prozesse im Gehirn gerade die Grundlage für dieses Rotempfinden oder diesen Schmerz und nicht für ein anderes Empfinden oder gar keins? Unser zweieinhalb Pfund schweres, grau-glitschiges Hirn besteht aus Molekülen, von denen keines eine Innenperspektive hat. Wie kann es dann sein, dass alle zusammen die Grundlage für unsere Innenperspektive sind?
     
    Da das Wort «Bewusstsein» mehrere Bedeutungen hat, kann man auch von mehreren Körper-Geist-Problemen sprechen. Chalmers unterscheidet zwischen den
einfachen Problemen
und dem
schweren Problem
. Bewusstsein als Zugang zu Informationen, also die Art von Bewusstsein, die auch Zombies haben, stellt kein prinzipielles Problem dar, denn man bleibt auf der Ebene der kausalen Prozesse und der Verhaltenssteuerung. Im Prinzip kann man das aus der objektiven, wissenschaftlichen Perspektive erklären. Das ist eines der einfachen Probleme, «einfach» nicht, weil die Lösung offensichtlich ist, sondern weil einer Lösung nichts im Wege steht. Anders sieht es beim schweren Problem aus, dem Erlebnisbewusstsein. Mary, die Fledermäuse und die Zombies verdeutlichen, warum es sich um das größte Rätsel der Wissenschaft handelt, größer als das der schwarzen Löcher, als die Entstehung des Lebens auf der Erde oder die Vorgänge in den ersten Sekunden nach dem Urknall. Bei all diesen Problemen, so schwierig sie auch sein mögen, stellt sich die Frage nach der subjektiven Perspektive überhaupt nicht. Sie sind zwar noch unverstanden, aber man kann sich schon heute vorstellen, wie eine Lösung oder Theorie aussehen könnte.
    Beispiel Leben. Wie konnte auf der Erde aus unbelebter Materie, also aus Atomen und Molekülen, Leben entstehen? Früher nahm man eine mysteriöse Lebenskraft an, die
vis vitalis
, die dem Körper Leben einhaucht. Heute weiß man, dass der Körper keine weitere Kraft benötigt, um lebendig zu sein. Die Zellteilung und der Stoffwechsel reichen aus, um den Organismus in seiner Funktion aufrechtzuerhalten. Alles, was Leben ausmacht, kann man im Prinzip anhand der vier Buchstaben A, G, T und C erklären – sie stehen für die Basen des genetischen Codes in der DNA . Dazu nimmt man die objektive, wissenschaftliche Außenperspektive ein. Fledermäuse und Menschen unterscheiden sich nicht in der Art und Weise, wie sie ihre Lebensfunktionen aufrechterhalten.
    Das phänomenale Bewusstsein hingegen wirft ein Rätsel ganz anderer Natur auf, weil man nicht nur nicht weiß, warum es existiert, sondern weil man auch keinen blassen Schimmer hat, wie man es naturwissenschaftlich erklären könnte. Selbst wenn man alle zugrunde liegenden physiologischen Prozesse gefunden hätte, bliebe die Frage: Warum gibt es dazu noch Erlebnisbewusstsein? Warum laufen die Prozesse nicht ohne Bewusstsein ab wie bei Zombies? Wer ausschließlich über die Gehirnprozesse spricht, wechselt von der Ich-Perspektive,

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