Folge dem weißen Kaninchen
hat, haben sie auch Probleme mit praktischen Entscheidungen ebenso wie Patienten, deren Frontalhirn nicht nur unterentwickelt, sondern durch Verletzungen zerstört ist. In einem Versuch konnten diese empathiearmen Patienten aus zwei Stapeln mit Spielkarten wählen. Einige der Karten lieferten Gewinne, andere Verluste, doch die Probanden kannten die Regeln nicht. Das Spiel brach irgendwann unvorhergesehen ab, und sie erhielten ihren Gewinn bar ausgezahlt. Der «gute» Stapel brachte solide Gewinne und etwas schwächere Verluste. Der «schlechte» Stapel brachte hohe Gewinne, aber umso höhere Verluste. Während gesunde Menschen schnell ein Gefühl dafür entwickelten, welcher der Stapel der bessere war, noch bevor sie genau nachrechnen konnten, bevorzugten Soziopathen und Frontalhirngeschädigte immer die schlechten Stapel, selbst dann, wenn ihnen mitgeteilt wurde, dass sie damit auf Dauer verlieren würden.
Damasio und viele seiner Kollegen schließen daraus, dass unsere Gefühle auch unsere Entscheidungen vernünftig steuern. Diese positive Sicht auf Gefühle ist revolutionär, denn traditionell nahm man an, Gefühle stünden der Vernunft im Weg. Wir kennen einige Ausdrücke für diesen Widerstreit: «Vernunft gegen Gefühl», «Bauch gegen Kopf», «Herz gegen Verstand». Beides kann ein Vorwurf sein: «Du bist so emotional», wenn es um das vernünftige Handeln geht, «Du bist so rational», wenn es um einen Mangel an menschlicher Wärme geht. Nach den neueren Erkenntnissen scheint der erste Vorwurf oft fehl am Platz zu sein. Unsere positiven emotionalen Fähigkeiten sind unter dem Stichwort «emotionale Intelligenz» bekannt geworden. Der Titel ist irreführend, weil wir durch Training kaum intelligenter, dafür aber sehr wohl gefühlvoller und sensibler werden können. Der Grundgedanke gilt aber mittlerweile als gut gesichert.
Allerdings übertreiben es einige Psychologen mit ihrer Forderung, man solle sich immer auf das Bauchgefühl verlassen. Nur weil Gefühle in der Evolution einmal einen Vorteil als Warn- und Informationssystem darstellten, heißt das nicht, dass sie noch heute immer von Vorteil sind. Wir können uns nicht blind auf unsere emotionalen Ahnungen verlassen, denn manchmal sind sie hilfreich und manchmal nicht. Einige Menschen mögen wir vielleicht nur deshalb nicht, weil uns ihr Parfüm unbewusst an die böse Schwiegermutter oder ihre Gesichtszüge an den garstigen Sportlehrer erinnern. Oft genug sind wir auch aus den falschen Gründen eifersüchtig oder haben Angst vor Spinnen, die uns nichts tun können. Besonders die Aggression junger Männer hat heute keine Funktion mehr, sondern ist auf der ganzen Welt für großes Leid verantwortlich. Früher mag der testosterongetriebene Zorn bei der Jagd und der Verteidigung der Familie geholfen haben. In modernen Demokratien läuft die Kampfeslust ins Leere. Die aggressiven jungen Männer, die sich nicht kontrollieren können, jagen jetzt auf der Straße oder kämpfen in der Fankurve. Der deutsche Soziologe Gunnar Heinsohn hat gezeigt, dass besonders in den Regionen Gewalt und Krieg entstehen, wo ein Überschuss an Männern im Alter zwischen 15 und 24 Jahren herrscht.
Auch die Traurigkeit darüber, verlassen worden zu sein, bringt einem wenig. Und welche Funktion soll die Wut haben, die oft darauf folgt? Keines der beiden Gefühle hilft dabei, in der Zukunft besser mit Verlust umzugehen. Man weiß, warum man traurig ist, und kann trotzdem nichts dagegen tun.
Gefühlsmanipulationen
Unser Bauchgefühl ist nicht nur unzuverlässig und manchmal sogar funktionslos, sondern auch anfällig für Manipulationen. Nirgendwo wird das so schamlos ausgenutzt wie in der Werbung. Was hat Rauchen mit Sonnenuntergängen, Cowboys am Lagerfeuer oder nebligen Gebirgslandschaften zu tun? Gar nichts. Der Erfinder dieses Stimmungsbildes, der Werber Michael Conrad, hat sich von Caspar David Friedrichs Gemälden inspirieren lassen: die Natur, der Nebel und Männer, die in die Ferne schauen. In der Werbung erfahren wir kaum Fakten. Wenn wir ehrlich sind, wollen wir auch gar nichts über die Ventilsteuerung des Viertaktmotors wissen, sondern lieber sehen, wie der Geländewagen die Serpentinen entlangrauscht oder querfeldein durch Matsch und Schlamm schlittert, auch wenn wir mit diesem Auto später nur zum Einkaufen fahren.
Wir werden medial manipuliert, aber wir wollen uns auch emotional verführen lassen. Hollywood kann das am besten. Am Ende heulen alle. Als die
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