Folge dem weißen Kaninchen
hört man manchmal,
eigentlich
hieße «interessieren» so viel wie «dazwischen sein», und
wörtlich
sei der «Amateur» ein Liebhaber: von Lateinisch «amare», also «lieben». Tatsächlich heißt «interessieren» nichts anderes als «interessieren», und ein Amateur ist ein Amateur und kein Liebhaber. Beim ersten Hören sind solche Beispiele suggestiv, weil wir schnell einen Zusammenhang sehen. Dabei gibt es unzählige Gegenbeispiele: Das Wort «bisschen» ist sprachgeschichtlich die Verkleinerungsform von «Biss». In dem Satz «Ich will ein bisschen Leidenschaft» kann man da eine passende Verbindung konstruieren: Leidenschaftliche Küsse sind manchmal wie Bisse. Aber schon bei «Ich will ein bisschen Wasser» verdampft diese Suggestion.
Die Etymologie-Theorie kann man noch allgemeiner widerlegen: Fast niemand von uns kennt die Geschichte einzelner Wörter, aber wir wissen, was sie bedeuten. Wenn wir keine Etymologien dazu benötigen, dann sind sie fürs Sprachverständnis irrelevant. Was auch immer unsere Vorfahren mit denselben Lauten gemeint haben: Es spielt keine Rolle dafür, was wir jetzt mit ihnen meinen.
Etymologie-Theoretiker vertreten einen extremen Museumsmythos: Wort-Etiketten und Bedeutungen kleben auf ewig zusammen. Noch heute argumentieren Kulturwissenschaftler mit Etymologien: Wörter seien irgendwie mit Bedeutungen «aufgeladen», und ihnen würden Konnotationen, also Nebenbedeutungen, «anhaften». Sprachen als Ströme von Zeichen existierten unabhängig von uns und «flössen» irgendwie durch uns «hindurch». Dieser Ansatz verkennt jedoch die Tatsachen. Wörter führen kein magisches Eigenleben. Ohne Menschen mit Gedanken haben sie keine Bedeutung, sondern nur, wenn Sprecher sie äußern und verstehen. Und dazu müssen sie zum Großteil zuvor im Gedächtnis gespeichert sein.
Eine ähnliche Vorstellung steckt auch hinter der Sorge um den Verfall der Sprache. Keine Generation spricht wie die vorherige. Wer den natürlichen Sprachwandel selber miterlebt hat, kann zu dem Schluss kommen, dass es mit dem Deutschen bergab ginge, da es mit der Zeit Wörter oder Ausdrucksmöglichkeiten verlöre. Oft entspringen diese Diagnosen aus Unkenntnis der Fakten, wie etwa, dass der Konjunktiv ausstürbe, weil wir ihn oft mit «würde» bilden. Vor allem: Wie weit muss man zurückgehen, um das «beste» Deutsch zu finden: bis zu Thomas Mann, Goethe, Luther, Walther von der Vogelweide, Karl dem Großen?
Sprachen existieren nicht unabhängig von uns. Und Bedeutungen sind nicht selbst gewählt, keine inneren Bilder, keine Etymologien und auch nicht mit dem Wortgebrauch gleichzusetzen. Was sind Bedeutungen dann?
Gavagai!
Stellen Sie sich einen Feldforscher vor, der in ein fremdes Land reist und auf einen Volksstamm trifft, dessen Sprache er nicht beherrscht. Es gibt kein Wörterbuch und keinen Dolmetscher. Der Feldforscher wird gastfreundlich aufgenommen. Abends am Lagerfeuer hoppelt plötzlich ein Kaninchen vorbei, und jemand ruft: «Gavagai.» Was könnte das bedeuten? Eine naheliegende Hypothese ist: «Da ist ein Kaninchen!» Vielleicht heißt es aber auch «Da ist unser Abendessen!», «Was für ein lustiges Tier!» oder einfach «Hinterher!».
Mit dieser Geschichte will Quine verdeutlichen, was es heißt, eine fremde Sprache zu verstehen. Da der Feldforscher keine Hilfsmittel hat, wird er eine
radikale Übersetzung
anstreben. Das geht ungefähr so: Zuerst muss er die Ausdrücke für «ja» und «nein» herausfinden. Er könnte zum Beispiel bei jedem Kaninchen probeweise selbst «gavagai» rufen. Wenn die Eingeborenen immer «bobo» sagen, könnte das «ja» bedeuten. Sagen sie allerdings manchmal «bobo» und manchmal «mi», könnte letzteres «nein» heißen. Daraus würde natürlich folgen, dass «gavagai» nicht «Da ist ein Kaninchen!» heißt.
Die Ausdrücke für «ja» und «nein» sind nichts anderes als die Ausdrücke für «wahr» und «falsch». Mit diesem Hilfsmittel hat der Forscher seinen Fuß in die Tür der unbekannten Sprache bekommen, wie Quine sagt, denn er kann nun Hypothesen über die Satzstruktur testen. Wörter haben isoliert nämlich keine Bedeutung, sondern nur, wenn sie in einem ganzen Satz auftauchen. Darauf hat schon der deutsche Logiker Gottlob Frege aufmerksam gemacht. Man kann dieses Phänomen testen, indem man in einem Gespräch einfach mal «Sandstrand» oder «Spinoza» sagt. Darauf wird unweigerlich ein «Was meinst du damit?» folgen. Es gibt zwar
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