Folge dem weißen Kaninchen
den
Museumsmythos
: die Vorstellung, Wörter wären Namensschilder an einer Vitrine und die Bedeutungen Exponate darin.
Die Bildtheorie klingt für Nomen und Verben zunächst plausibel, weil uns tatsächlich oft Bilder in den Kopf schießen, wenn wir «Auto», «Sonne» oder «Lachen» hören. Doch schon für die funktionalen Wörter der Sprache verblassen diese Assoziationen. Was stellt man sich bei «aber», «die» oder «inzwischen» vor? Zudem sind unsere bildhaften Vorstellungen viel zu individuell, um eine systematische und erfolgreiche Kommunikation zuzulassen. Bei «Die Sonne scheint» mögen alle Menschen ähnliche Vorstellungen im Kopf haben. Aber bei «Mein Onkel ist Rechtsanwalt» sind sie, wenn überhaupt präsent, doch sehr verschieden. Trotzdem versteht jeder, was mit diesen Sätzen gemeint ist. Beim Sprachverstehen läuft kein Film von Bildern vor unserem inneren Auge ab. Die Bedeutung kann also nicht in Form von Bildern codiert sein.
Quine und Wittgenstein lagen in ihrer Kritik der Bildtheorie richtig, sind aber aus Scheu vor mentalen Bildern oder «Bedeutungen im Kopf» über das Ziel hinausgeschossen. Sicher, der Gebrauch gibt Aufschluss über die Bedeutung: Wenn der Gärtner «Rauke» zu dem Gewächs sagt, das ich mit «Rucola» bezeichne, dann gebraucht er offenbar «Rauke» mit derselben Bedeutung wie ich «Rucola». Dennoch müssen Lautform und Bedeutung in unseren Gedächtnissen gespeichert sein, sonst könnten wir uns nicht wiederholt erfolgreich auf dieses bittere Kreuzblütengewächs beziehen. Das hat schon der Schweizer Ferdinand de Saussure um 1900 deutlich gemacht, einer der Pioniere der modernen Sprachwissenschaft. Die Bedeutung ist sicherlich nicht als mentales Bild, sondern anders abgelegt. Herauszufinden, in welcher Weise, ist Aufgabe der Bedeutungstheorie.
Mit seiner Gebrauchstheorie hat Wittgenstein die Bedeutung im Verhalten einer Sprachgemeinschaft verortet. Die Bedeutung von «Rucola» ist ihm zufolge keine Einheit in meinem
mentalen Lexikon
, sondern sie manifestiert sich in allen Gebrauchsweisen dieses Wortes im Deutschen. Eine Sprache besteht demnach aus Regeln der Sprachverwendung. Manchmal nennt man diese Regeln auch
Konventionen
, obwohl oft unklar bleibt, was damit gemeint ist. In jedem Fall sind Sprachen sicher nicht in der Weise konventionell, dass sich Menschen auf Bedeutungen «geeinigt» hätten. Unsere Vorfahren saßen nicht stumm um ein Lagerfeuer herum, bis plötzlich einer aufsprang und rief: «Lass uns ab heute mit dem Wort ‹Feuer› über Feuer sprechen!» Denn um sich so zu einigen, hätten sie schon eine Sprache beherrschen müssen.
Daher sprechen die heutigen Gebrauchstheoretiker von
impliziten Normen
, allen voran der amerikanische Sprachphilosoph Robert Brandom. Ihm zufolge ist die Sprache nicht nur regelmäßig, sondern regelhaft, also
normativ
, weil es ein «richtig» und «falsch» im Sprachgebrauch gebe. Wer beispielsweise sagt: «Hamburg liegt nördlich von München», der ist darauf festgelegt, auf Nachfrage auch «München liegt südlich von Hamburg» zu sagen. Ein essenzieller Bestandteil der Sprache sei, dass jeder Sprachgebrauch den Sprecher auf weitere Verhaltensweisen verpflichte. Man kann Brandom auch so verstehen, dass Sprachregeln
Vorschriften
sind und wir dementsprechend andere zu Recht verbessern, wenn sie etwas Falsches sagen.
Dieser Ansatz ist problematisch, denn bei näherer Betrachtung scheint das eher ein soziales Phänomen der Schriftkultur zu sein. Wir korrigieren zwar andere und lassen uns verbessern, aber das geschieht nicht systematisch, nicht einmal bei Kindern, wie Studien zum Spracherwerb zeigen. Außerdem unterstellt der Gebrauchstheoretiker stillschweigend, dass die «Normen» im Gedächtnis gespeichert sind – wie könnten wir sie sonst befolgen? Doch dann kann er gleich vom mentalen Lexikon sprechen und so, wie in der Sprachwissenschaft üblich, die
mentale
statt der
sozialen
Perspektive einnehmen.
Die Gebrauchstheorie gilt als ernst zu nehmender Kandidat für eine Bedeutungstheorie. Populär ist noch ein weiterer Ansatz, der allerdings unplausibel ist: die Vorstellung, die Geschichte eines Wortes, seine
Etymologie
, würde etwas über dessen Bedeutung verraten. In der Antike glaubte man, wer nur weit genug zurückginge, würde irgendwann das «etymon», die «wahre» oder «eigentliche» Bedeutung eines Wortes, finden. So weit zur Etymologie von «Etymologie». Doch stimmt das?
Selbst unter Akademikern
Weitere Kostenlose Bücher