Folge dem weißen Kaninchen
ohne eine Verbindung zu äußeren Reizen wie Straßenlärm oder eingeklemmten Armnerven. Natürlich kann man mit Hobson annehmen, dass aus zufälligen Details wie einem eingeschlafenen Arm mit Hilfe der Erinnerung ein sinnvolles Ganzes entstand. Die Frage bleibt aber bestehen: Wieso habe ich die Erinnerungen als eine zusammenhängende Filmsequenz erlebt?
Träume könnten ja auch aus ganz realistischen
Flashbacks
von Erinnerungsbildern bestehen. Solche erzeugte der amerikanische Neurologe Wilder Penfield in den fünfziger Jahren, indem er die Gehirne von Patienten mit geöffneter Schädeldecke durch schwachen Strom reizte. Träume könnten ebenso gut anders aussehen, beispielsweise wie Assoziationsketten in unseren alltäglichen Gedankengängen. Beim Grübeln kommen wir manchmal vom Hundertsten ins Tausendste: Die Gedanken springen von Orten zu Personen, von Erlebnissen zu Phantasien und wieder zurück. Auch Träume könnten aus ebenso zufälligen Assoziationsblitzen bestehen, aus zusammenhanglosen Bildern, die nacheinander aufleuchten. Doch im Gegensatz zum Wachen verwandeln sich die assoziativen Sprünge oft in eine Geschichte. Die Frage ist also: Warum bestehen Träume aus Filmsequenzen und nicht aus einer kommentarlosen Diashow? Warum ist die Traumarbeit so aufwendig, dass sie nicht nur einzelne Verbindungen knüpft, sondern viele Fäden zu einem verstrickten, aber doch in sich zusammenhängenden Erzählstrang verknotet?
Freud hat das symbolische Element des Träumens überbetont. Doch indem sich die wissenschaftliche Traumforschung von Freud weg zur Hirntätigkeit hinbewegte, hat sie so den episodischen Charakter der Träume aus den Augen verloren. Seit einiger Zeit sind in der Philosophie und Psychologie die Erzählungen wieder in Mode. Einige Theoretiker gehen dabei so weit zu behaupten, dass unsere gesamte Persönlichkeit aus Geschichten zusammengesetzt ist, die wir anderen und uns selbst erzählen. So abwegig das als Erklärung für unseren Charakter klingt, bei Träumen ist der Ansatz nicht von der Hand zu weisen.
Man darf das Episodische oder Geschichtenartige unserer Träume nur nicht als eine sprachlich verfasste Erzählung verstehen, wie es bei Hobson manchmal den Eindruck hat. Träume sind eher visuelle Geschichten, eben Filme. Allerdings sind sie nicht so aufgebaut wie Blockbuster im Kino, sondern eher wie Kurzfilme, die nur aus wenigen Szenen bestehen. Zwar haben Traumszenen ihre eigene innere Logik, anders aber als in einem Spielfilm addieren sich die einzelnen Szenenfolgen nicht zu einer ganzen Story. Vielleicht beruht der innere Zusammenhang schlicht auf einem Trugschluss: Da wir als Träumende alles aus der Ich-Perspektive erleben, also die ganze Zeit in unserem eigenen Kino sitzen, könnten
wir
es sein, die das rohe Szenenmaterial wie einen fertigen Film behandeln, sobald wir daran zurückdenken. Vielleicht sind wir dabei so wohlwollend wie bei einem Low-Budget-Independentfilm, bei dem wir den Regisseur kennen. Dafür spricht, dass schon viele gewöhnliche Erinnerungen wie Nacherzählungen funktionieren, bei denen man mit jedem Zurückholen, ohne es zu merken, den Inhalt verändert und ergänzt.
Was kann ich also aus Träumen wie meiner James-Bond-Sequenz lernen, außer dass ich zu viele Filme schaue? Es sind keine verschlüsselten Botschaften, und sie verraten nichts über unterdrückte Wünsche, sondern wenn überhaupt, etwas über ganz konkrete. Wir erleben sie als Filmsequenzen in unserem Bewusstsein, auch wenn wir dabei selten die Kontrolle über den Handlungsverlauf haben. Manchmal geht es in Träumen um unsere Sorgen und Probleme, manchmal nicht. Sie haben keine offenkundige biologische Funktion, aber wir lernen von ihnen viel über die Funktionsweise unseres eigenen Geistes.
Vielleicht deutet die filmische Erzählstruktur unserer Träume sogar darauf hin, dass wir die Welt szenisch erleben und in unserer Erinnerung Erlebnisse automatisch in Auftakt, Durchführung und Finale zerlegen. Sie würden dann zeigen, dass in uns allen Märchenerzähler und Drehbuchautoren schlummern, die erwachen, wenn wir schlafen. Oder wie es in Shakespeares
Sommernachtstraum
heißt: «Ihr alle schier habet nur geschlummert hier und geschaut in Nachtgesichten eures eignes Hirnes Dichten.»
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Kapitel 5 Handeln Die Freiheit des Willens
Red Bull. Sechs Dosen. Da stehen sie. In meinem Kühlschrank. Ich mag das Zeug nicht. Es schmeckt wie aufgelöste Gummibärchen. Wer zum Teufel
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